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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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mich gehalten hat, als ich noch klein war und sie mich auf ihren Schoß gezogen hat, ihre Hand in meinen Haaren.
    »Es ist vorbei«, sage ich. »Alles wird wieder wie früher.«
    Es gibt Liebe, die ist so groß, dass sie einen zerstören kann, das sagt sie mir, auch wenn sie es nicht ausspricht und ich sie nicht dazu bringen kann, mit mir zu reden.
    Was sind schon Jungs angesichts dieser unglaublichen Liebe, die einem das Herz zerdrückt?
    Wie soll man sich da um Jungs scheren, ihr lautes Gequatsche auf den Schulfluren, ihre Suspensorien und ihre Pickel auf der Stirn, ihre langen Beine unterm Schulpult? Sie bestehen nur aus tanzenden Adamsäpfeln und Stimmbruch, und sie zerren an ihren Klamotten herum und boxen sich gegenseitig und schütten einem Eiswürfel in den Kragen und fassen einem unters T-Shirt. Was sollen sie einem schon bedeuten, angesichts der großen, umwerfenden, herzzerreißenden, alles sprengenden Liebe eines Mannes, dessen Herz sich jede Nacht nach einem verzehrt?
    Ist es das, was sie mir zu sagen versucht?
    Das muss es sein. Ich fühle es. Sie fühlt es bestimmt auch.
    Schließlich ist sie eingeschlafen, ich nicht, ich kann Mr. Verver unten im Keller hören. Durch die Lüftungsschlitze, ganz entfernt, höre ich den Plattenspieler scheppern.
    Ich schlüpfe aus Evies Umarmung, ihr rechtes Bein lag auf mir, und schleiche mich leise die Treppe hinunter zur Kellertür.
    Die Musik hat ein sanftes Tempo, ein langsames, unheimliches Lied mit leisen Gitarrenklängen und klagenden Stimmen.
    Ich stehe oben an der Treppe und verliere den Mut, auch wenn ich nicht weiß, warum. »Mr. Verver?«, flüstere ich.
    Er guckt um die Ecke und sieht zu mir herauf, eine grüne Bierflasche in der Hand, das Gesicht gerötet und gedankenverloren.
    Er sieht überrascht aus, und dann auch wieder nicht. Und er lächelt und winkt mich hinunter.
    Plötzlich wird mir bewusst, dass meine Beine nackt sind und nur in Tennissocken stecken, aber ich stolpere trotzdem die Treppe hinunter, und er macht eine »nur die Ruhe«-Geste, und wir müssen beide lachen.
    Ich mache es mir auf dem Teppich gemütlich, breite den Stapel Platten wie Spielkarten vor mir aus und betrachte die Cover.
    »Kannst du nicht schlafen?«, fragt er und setzt sich wieder in seinen Sessel.
    »Nein«, sage ich.
    »Auch mit der Alarmanlage, und obwohl die Polizei dauernd vorm Haus vorbeifährt«, sagt er und klopft auf die Tischplatte, »fällt es mir immer noch schwer, sie aus den Augen zu lassen.«
    »Ich weiß«, sage ich.
    »Es wird bestimmt besser, wenn sie erst mal anfängt … zu erzählen. Und dann gibt es ja auch noch die Therapeutin. Aber … hat sie dir immer noch nichts erzählt? Was er … getan hat?«
    »Nein«, muss ich sagen, und ich sehe ihm die Enttäuschung an.
    Es ist alles so durcheinander in mir, ich will es so sehr wissen, und ich will so gern etwas finden, das ich ihm erzählen kann. Damit er sicher ist, dass es ihr gut geht und dass sie wieder da ist, dass sie wirklich wieder da ist und dass ihr nie wieder irgendwas Schlimmes passieren wird.
    Sag mir, was ich hören will, sagt er . Gib mir, was ich brauche, Lizzie.
    »Noch nicht«, füge ich hinzu. »Aber sie ist so froh, wieder zu Hause zu sein. Sie fühlt sich hier sicher. Froh und sicher.«
    Sein Lächeln ist voller Zweifel und Fragen, aber breit, und mein Gesicht wird ganz warm, und wie ich da so auf dem Boden zu seinen Füßen sitze, würde ich mich am liebsten an seine Beine schmiegen und dort ankuscheln.
    Wir schweigen eine Weile, Mr. Verver legt immer neue Platten auf und genießt sein Bier, und ich kriege immer noch nichts davon ab.
    »Es ist spät«, sagt er. »Du solltest schlafen gehen.«
    Ich nicke, aber er spricht weiter, also stehe ich vom Boden auf und setze mich in den Sessel neben ihm, und dann kommt ein neues Lied, und das ist fröhlicher, irgendwie großspurig, und es trifft mich irgendwo, mein Magen hüpft, und zwar ziemlich.
    »Ach Lizzie«, sagt er, »Thin Lizzie, hörst du diese Bassline? Ja? So was gibt’s nicht auf Kassette. Ich glaube, so was gibt’s nicht mal auf CD. Dieser Sound ist so cool, den kann man nicht brennen. Den fühlt man richtig, oder?«
    Ich höre zu, aber es ist nicht leicht, weil dieses Lied, also, der Text ist laut und deutlich, der Sänger erzählt von verschiedenen Mädchen und davon, was diese Mädchen tun. Es wird viel geflucht, und der Rhythmus ist langsam und bedächtig, und Mr. Verver bemerkt den Text anscheinend gar nicht, bis er auf

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