Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
müsste, aber dass wir auch mal eine Pause brauchen, ein bisschen Spaß – oder etwa nicht? Wir nicken, beide, im Gleichtakt.
Er kann die ganze Fahrt über gar nicht aufhören zu reden, und Evie lächelt ihn an, so breit, dass man ihre Zähne sieht. Es ist, als könnte er gar nicht glauben, dass sie es wirklich ist, immer wieder dreht er sich zu ihr um und sieht nach, ob sie noch da ist. Sie lächelt so viel, dass mir schon das Gesicht wehtut. Ich kenne dieses Lächeln, es ist ein Passfotolächeln, ein Mannschaftsfotolächeln. Und ich weiß, dass Mr. Verver das auch sieht.
Er sagt, es wäre ihm lieber, wenn wir nicht durch die Damenumkleideräume zum Becken gehen. Es wäre ihm lieber, wenn wir einfach nicht duschen, auch wenn man das eigentlich nicht darf.
Auch gut. Wir werden so schon genug angestarrt, draußen am Becken. Nicht von allen, ich weiß. Sie können Evie ja gar nicht alle kennen, sie von den ganzen anderen sonnencremeglänzenden Mädchen unterscheiden. Aber es kommt mir so vor.
Das ist uns aber egal. Wir schwimmen auf unseren Luftmatratzen, unsere Haare saugen sich mit Chlor voll, unsere Haut schwitzt es aus. Ich schmiege das Gesicht an das Plastik, kühles Wasser sammelt sich in kleinen Pfützen, wo mein Kopf die Luftmatratze berührt. Ich strecke die Hand aus und ziehe mir den grünen Badeanzug ein Stück weiter über den Po, meine Haut darunter ist feucht.
Ich sehe zu Evie hinüber, ihre Augen sind hinter einer großen Sonnenbrille mit Zebramuster versteckt. Ihre Lippen sind leicht geöffnet. Ihr weißer Bikini strahlt in der Sonne. Sie liegt auf dem Bauch und treibt so vor sich hin. Ich kann nicht erkennen, ob sie mich ansieht oder schläft oder in Gedanken ist.
Ab und zu sehe ich zu Mr. Verver, der auf einem Liegestuhl sitzt und uns nicht aus den Augen lässt, nicht mal, um einen Blick in die Zeitung zu werfen.
Er beobachtet uns, und ich wette, er denkt, wir reden. Ich wette, er denkt, Evie erzählt mir alles. Aber Evie erzählt nichts.
Ich will, dass sie weiß, dass es okay ist. Dass sie mir alles erzählen kann und ich sie verstehe. Aber sobald man so was ausspricht, kommt es einem irgendwie nicht mehr wahr vor.
Schon nach einer Stunde müssen wir wieder gehen. Mr. Verver telefoniert und sagt immer wieder: »Ich weiß, ich weiß. Wir gehen ja schon. Ich wollte nur … Ich wollte nur …«
Mom, flüstert Evie mir lautlos zu.
Sie fragt Mr. Verver, ob wir jetzt in die Umkleiden gehen können, um zu duschen. Er sieht sie lange an, und ich weiß, dass er am liebsten Nein sagen würde, aber er sagt Ja.
Wir stehen zusammen unter der Gemeinschaftsdusche, schaumiges Shampoo fließt unsere Badeanzüge hinab und sammelt sich in unseren Gummisandalen.
Wir haben immer noch unsere Sonnenbrillen auf, weil es uns gefällt, wie wir damit aussehen, und wie die Welt dadurch aussieht, alles rosa.
Wir stehen da und lassen das Wasser an uns hinunterlaufen. Evie seufzt, sieht auf ihre Füße hinunter, auf die braunen Wirbel neben ihren Füßen, die Haarfarbe wäscht sich immer noch ein bisschen aus.
Sie sieht hinunter, starrt auf den Abfluss zu unseren Füßen. Mit der Sonnenbrille habe ich keine Ahnung, was sie denkt.
Auf dem Heimweg sitzen wir auf der Rückbank, und Mr. Verver redet wieder die ganze Zeit, wie vorhin. Über Pläne für den Sommer und Nachbarn, die ihr Haus lachsfarben gestrichen haben, und die Probespiele für die Aufnahme ins Hockeyteam. Er kann einfach nicht aufhören.
Langsam tut es weh, ihm zuzuhören.
Da beugt sich Evie plötzlich vor, sie hat immer noch die Sonnenbrille auf, und lehnt ihr Kinn an seine Kopfstütze und schmiegt ihre Wange an seine.
»Es tut mir leid, Dad«, sagt sie, ihre Stimme klingt kratzig und gehetzt. »Es tut mir leid.«
»Evie, ich …«, sagt er erschrocken. Er versucht, sich zu ihr umzudrehen und sie anzusehen, aber die Ampel springt um, und Autos hupen, und unser Auto macht einen Satz nach vorn.
»Es tut mir leid«, sagt sie immer wieder, und ich weiß genau, was sie meint, auch wenn ich es nicht in Worte fassen könnte.
»Evie«, sagt er mit belegter Stimme, er streichelt sie, und das Auto kommt mir auf einmal winzig vor. Die Hand vorm Mund, wende ich mich ab, lege den Kopf ans Fenster und versuche, diesmal nicht zuzuhören.
»Schläfst du heute Nacht wieder hier, Lizzie?«, fragt Evie. »Ja?«
Und ich sage Ja. Meine Mutter sagt am Telefon: »Okay, noch eine Nacht.«
Aber ich denke, wie soll ich denn jemals Nein sagen?
Ich glaube, ich werde
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