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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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als wollte er etwas herausfinden. »Vielleicht war es anders, als ich in eurem Alter war.«
    Stille.
    »Jetzt klinge ich wie ein alter Mann«, lacht er, aber es ist ein seltsames Lachen, und ich merke, dass er dringend das Thema wechseln will, ganz woandershin.
    »Sie sind kein alter Mann«, antworte ich, schnell und zu laut. »Und ich weiß auch nicht, was ich damit gemeint habe. Ich weiß überhaupt nichts über Jungs. Männer. Überhaupt gar nichts.«
    Er lächelt.
    »Du weißt mehr, als du denkst«, sagt er, und dann wendet er sich schnell ab.
    Es geht so schnell, dass ich es fast übersehe.
    Aber sein Gesichtsausdruck, der Ausdruck war … er war …
    Mich schaudert.
    Und wir sitzen da und sitzen da, und es wird immer später, und die Musik verschluckt alles, und ich bin froh darüber.
    Erst Stunden später komme ich darauf. Im Schlaf, in dieser Nacht.
    Sein Gesichtsausdruck.
    Er trug den Kummer der ganzen Welt im Gesicht, es war bis obenhin voll mit Kummer und Leid, und ich hasse mich dafür, dass ich das hervorgerufen habe.
    Da war etwas, an das man nicht näher herantreten sollte, um es genauer zu betrachten, aber ich habe es getan und ihn dazu gebracht, es auch zu tun. Und er hat es getan und …
    Und jetzt ist etwas für immer verschwunden, und ich spüre den Verlust. Er erdrückt mich.
    Als ich ins Bett zurückgehe, zucken Evies Lider, und sie regt sich.
    Das Mondlicht taucht uns in bleiches Licht, ich sehe ihre Augen, weit aufgerissen und so weiß, dass sie mich versengen.
    »Oh, Lizzie«, sagt sie. »Ich möchte es dir erzählen, ich möchte es dir so gern erzählen, aber ich kann nicht.«
    »Warum nicht?«
    Sie setzt sich auf, stützt sich auf die Ellbogen, sieht mich ernst an.
    »Ich weiß nicht«, sagt sie, blinzelt langsam, betrachtet mich, ihre Augen sind so weiß. Und dann: »Irgendwie bist du nicht mehr die Lizzie von früher.«
    »Was meinst du?« Mein Mund wird ganz trocken, ich weiß nicht genau, wieso.
    Sie schweigt.
    »Bin ich wohl«, sage ich. »Warum kannst du es mir nicht erzählen?«
    »Weil jetzt alles anders ist«, sagt sie. »Alles sieht irgendwie komisch aus. Aber ich glaube nicht, dass sich wirklich etwas verändert hat, ich habe es früher nur nicht gesehen. Die Puzzleteile sind einfach umgelegt worden.«
    »Was soll das heißen?«, frage ich noch einmal, aber dann kommt mir ein Gedanke, ich auf der Veranda mit Mr. Verver, wir lachen, ich wärme mich an seinem Blick. Ich sehe zu Evies dunklem Fenster hinauf, der Schatten des Mobiles, still und regungslos, und dort oben steht Dusty, wo Evie eigentlich sein sollte.
    Irgendetwas kribbelt in mir. Ich unterdrücke es. Es stimmt nicht. Es hat nichts zu bedeuten.
    »Ich weiß selbst nicht, was ich meine«, sagt sie, ihre Finger schnappen nach mir, sie zieht mir an den Haaren. »Ich weiß es nicht.«
    Ich sage gar nichts, ich kann nichts sagen.
    Und sie sieht mich an, als wäre ich das Gespenst.

[Menü]  
    21.
    I ch habe traumlos geschlafen, als wäre ich in ein endlos tiefes Loch gesunken. Ich war dankbar dafür.
    Und dann das Geräusch, ein Geräusch, ein Feuerwerkskörper.
    Es ist zwanzig vor sechs.
    Evie bewegt sich, springt auf, rennt ans Fenster.
    Sie schnappt kaum hörbar nach Luft, ich frage mich, was sie da sieht, aber mein Kopf ist noch nicht ganz wach, und ich kann mich nicht aus dem verknoteten Laken befreien.
    Ich stolpere ans Fenster und kneife die Augen zusammen.
    Der Birnbaum hinten im Garten, da liegt etwas drunter, etwas Schwarzes an den knorrigen Wurzeln.
    Das ist ein Hund, denke ich, oder ein Müllsack. Was ist das Dunkle da?
    In diesem Moment schieben wir schon das schwere Fenster hoch, unsere Ellbogen stoßen aneinander, unsere Gesichter sind ans Fliegengitter gedrückt.
    Da sehe ich es.
    Es ist ein Mensch.
    Es ist ein Mann, der unter dem Baum liegt.
    »Evie«, sage ich. »Evie.«
    Jetzt passiert es doch, denke ich , er ist hergekommen, um sich seine kindliche Königin zurückzuholen. Er ist aus den dunkelsten Tiefen hergekommen, um sie wieder mitzunehmen, mit einer gigantischen Geste, wie ein Ritter, der die Prinzessin aus einem hohen Turm rettet.
    Wie ferngesteuert renne ich aus dem Zimmer, und es geht alles so schnell, und in meinem Kopf ist ihr keuchender Atem direkt hinter mir. In meinem Kopf ist sie direkt hinter mir.
    Ich schliddere über den Küchenboden zur Hintertür, reiße sie auf, die neue Alarmanlage heult los und dröhnt mir in den Ohren.
    Ich rase über das taufeuchte Gras im Garten, mein Blick

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