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Das Ende der Welt (German Edition)

Das Ende der Welt (German Edition)

Titel: Das Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Höra
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über mich.
    »Du bist viel zu weich«, höhnte Prüm. »Ich an deiner Stelle hätte zugestochen.«
    Später, als wir auf rohen Pilzen und Moos rumkauten, entschuldigte ich mich bei ihm.
    »Gut«, sagte Prüm nur leise, und obwohl ich seine Augen im Dunkeln nicht sehen konnte, wusste ich, dass sie vor Hass glühten.
    Dummerweise konnte man seinen Bruder nicht einfach wechseln. Man war bis zum Tod miteinander verbunden.
    »Dein Problem ist dein Kopf«, sagte Prüm, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten.
    »Du denkst zu viel und wirst noch mal einen Hirnschaden bekommen. Du weißt doch, was Sönn über denkende Soldaten sagt.« Er wartete meine Antwort nicht ab. »Bis sie zu Ende gedacht haben, ist die Schlacht entschieden.«
    »Und sie sind tot«, fügte ich leise hinzu. Prüm hat recht, dachte ich. Ich grübelte zu viel. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Meine Gedanken schossen wie betrunkene Mäuse wild hin und her. Meinem Kopf zu befehlen, weniger zu denken, wäre unsinnig. Genauso gut könnte ich meinem Magen befehlen, weniger Hunger zu haben.
    Rogers Schreie waren inzwischen verstummt. Nur das Zischen der Peitsche und das Klatschen auf seiner Haut waren noch zu hören. Entweder war er bewusstlos oder tot. Sönn ließ Rogers Familie antreten und schärfte ihnen ein, in Zukunft besser zu gehorchen, sonst würden sie deportiert. Sie nickten ergeben. Was blieb ihnen auch übrig?
    Ich verstand die dämlichen Zefs einfach nicht. Immer wieder machten sie Ärger, anstatt dass sie froh waren, ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie durften in der Fabrik arbeiten, sie bekamen Essen, Unterkunft, und wenn sie es schlau anstellten, mussten sie sich keine Gedanken um ihre Zukunft oder die ihrer Kinder machen. Die Fabrik gab ihnen alles. Ich trat ein Huhn aus dem Weg, das gackernd davonflatterte.
    Zurück in der Garnison, bekamen wir jeder unsere Ration Musschnitten, Muschniks genannt. Es waren weiche, graue Riegel, die ranzig schmeckten. Niemand wusste, was drin war. Angeblich war es ein Brei aus Getreide, Früchten und Gemüse, was aber nicht stimmen konnte, weil auf den wenigen fruchtbaren Flächen, die es noch gab, nur Kartoffeln oder Rüben angebaut wurden.
    Manche sagten, dass sie in den Muschniks tote Menschen verarbeiteten. Andere sagten, dass sie in Laboren Schleim aus Pilzen erzeugten, den sie dann zusammenpressten. Was es auch war, die Dinger machten satt, und darauf kam es an. Die ganze Bevölkerung ernährte sich überwiegend von Muschniks.
    Nach dem Essen fuhr ich mit zwei älteren Soldaten Streife, wofür wir einen der beiden Jeeps benutzten. Wegen der strengen Benzinrationierung durften wir ihn nur selten fahren. Während das altersschwache Gefährt einen Hügel hinaufkeuchte, beobachtete uns lauernd ein Eichelhäher.
    Wir waren auf der Suche nach Schleppern, die Immigranten ins Land schmuggelten, nach Deserteuren, die sich in den Wäldern herumtrieben, und vor allem nach Terroristen.
    Es gab Dutzende Gruppen mit unterschiedlichen Zielen. Die einen wollten freien Zugang zu Trinkwasser für alle, die anderen forderten mehr zu essen. Noch eine andere Gruppe verlangte freie Wahlen.
    Der gefährlichste Terrorist aber war Burger, ein ehemaliger Soldat. Er und seine Leute nannten sich Befreiungsausschuss, aber was sie befreien wollten, wusste niemand. In ihren Flugblättern ging es immer nur um Terror und Mord.
    Hin und wieder überfielen Burgers Leute Soldaten, um ihre Ausrüstung zu erbeuten. Burgers schlimmste Waffe aber waren die mit Sprengsätzen ausgerüsteten Jungen und Mädchen, die sich in den Städten in die Luft jagten und viele mit in den Tod rissen. Manchmal erwischten wir einen lebend, und dann war er enttäuscht, dass er kein Märtyrer geworden war.
    Die meisten von diesen Kreaturen konnten nicht mal schreiben und lesen. Sie waren die Kinder von Ausgestoßenen, die sich wie die Würmer durch unser verfaultes Land fraßen. Manche waren auch Waisen aus den Flüchtlingslagern. Aber egal, woher sie stammten: Sie gehörten ausgerottet!
    Burgers Steckbrief hing an jeder Wand, und sein Bild war täglich in der Zeitung zu sehen, wo es fast die ganze Seite einnahm: ein altersloser, schmaler Kopf mit unscharfen Gesichtszügen, stechenden grauen Augen und einem schmalen, grausamen Mund.
    Ich konnte nicht verstehen, dass Burger das Soldatendasein aufgegeben hatte, um Terrorist zu werden. Wer außer der Armee sollte denn verhindern, dass sich so etwas wie die Große Katastrophe wiederholte? Nur wir Soldaten

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