Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
wissen, wieso meine Entschlossenheit so leicht in sich zusammengefallen war.
Mir ging es darum, Sarah, mir und Millionen anderen Menschen zu helfen. Also hörte ich genauer hin, wenn jemand mit
Gewichtsproblemen zu kämpfen hatte, so genau, wie ein Arzt es tun sollte. Ich sah aber auch genauer hin und achtete darauf, wie sie mit Essen umgehen. Bald wurde mir klar, dass Sarah nicht die Einzige war.
Meine Unterhaltung mit einem 40-jährigen Reporter, den ich hier Andrew [Ref 2] nennen werde, erinnerte mich daran, dass der Kampf weder vom Geschlecht noch von Bildung, Einkommen oder Alter beeinflusst wird. Andrew ist knapp 1,80 Meter groß und wiegt rund 110 Kilo. Er hat furchtlos von vielen Kriegsschauplätzen berichtet sowie mit Djihadisten, Selbstmordattentätern und vom Krieg gezeichneten Soldaten gesprochen. Aber als ich ihm eine Schale M&Ms hinstelle, streckt er die Waffen.
»Wenn bei einer Besprechung oder einem Interview etwas zu essen bereitsteht, denke ich einen großen Teil der Zeit nur noch ans Essen«, gibt er zu. Sein innerer Dialog schwankt dabei zwischen: »Mann, sieht das gut aus, das könnte ich essen« und »Ich werde das jetzt nicht essen, weil ich es nicht brauche«.
Sein innerer Konflikt beginnt frühmorgens und hört den ganzen Tag nicht auf. »Morgens wache ich auf und weiß, dass das Essen mein Feind ist–dass ich mein eigener Feind bin«, stellt er fest. »Es ist unkontrollierbar.«
Mittags ist es der Korb mit frisch gebackenem Brot mit Butter, der Andrew in Versuchung führt. Unterwegs hört er den Ruf von Starbucks, und zu Hause erscheint der Kühlschrank unwiderstehlich. »Es geht einfach immer so weiter«, erzählt er. Wie so viele Menschen, die ihr Essverhalten nur schwer steuern können, sind Lebensmittel für ihn wie ein Hindernisparcours, den er umschiffen muss.
Besonders kritisch sind für ihn Drogerien und kleine Supermärkte: Wenn es ihm gelingt, siegreich am Süßwarenregal vorbeizulaufen,
fällt sein Blick an der Kasse auf noch mehr Süßigkeiten. Dann greift er zu, legt den Riegel wieder weg, nimmt ihn erneut in die Hand, mehrmals hintereinander. Manchmal gewinnt er den Kampf und geht ohne die Süßigkeit aus dem Laden, manchmal nicht. Wenn er ihn kauft, ist er mitunter so enttäuscht von sich, dass er die Hälfte in den Müll schmeißt–ehe er die andere Hälfte verputzt.
In seinem Kopf hört er immer dasselbe Lied: »Sobald ich meine Schale Cornflakes aufgegessen habe, denke ich: ›Und jetzt nehme ich eine Banane und einen Apfel mit zur Arbeit, damit ich mir im Büro nicht gleich einen Muffin hole.‹«
Aber jeder Erfolg ist nur von kurzer Dauer–bald kreisen seine Gedanken wieder nur ums Essen. »Ich führe Selbstgespräche«, gesteht Andrew. »Ich frage mich: ›Was bekomme ich zu Mittag?‹, ›Was ist, wenn ich um drei Uhr wieder Hunger habe?‹, ›Was gibt es zum Abendessen? Ich hoffe, es ist gut.‹«
An einem erfolgreichen Tag voller Selbstbeherrschung nimmt Andrew die von ihm angestrebte Menge von etwa 1500 Kalorien zu sich. Damit könnte er sein Gewicht reduzieren. Aber tags drauf werden es leicht wieder 5000 Kalorien. Meistens merkt er nicht, wann er satt ist, und wundert sich, wenn andere weniger aufs Essen fixiert sind.
»Ich kann mich leichter in einen Selbstmordattentäter hineinversetzen als in jemanden, der nicht ans Essen denkt«, erklärt er mir todernst.
Andrew mag am liebsten Pizza. Sobald ihm der Geruch von Pizza in die Nase weht, ist er effektiv abgelenkt. »Dann kann ich nur noch an diese Pizza denken«, gesteht er.
»Es gibt fast nichts, was mich so in den Bann ziehen kann wie Pizza. Ich sage Ihnen, Essen spricht. Jedes Essen spricht. Ich wette, ein Spieler, der ein Kasino betritt, verspürt Resignation, weil er jetzt gleich spielen und Geld verlieren wird. Ich glaube, diese Erkenntnis ist ihm unangenehm, aber sie ist auch spannend. Wenn ich in eine Pizzeria gehe, komme ich mir vor wie ein Spieler, und es scheint, als würde die Zeit stillstehen. Sie steht tatsächlich still. Man befindet sich außerhalb der Zeit und nicht mehr im eigenen Körper. Ich tue so, als würde mein Handeln folgenlos bleiben. Dann gibt es nur noch mich und diese Pizza, die Pizza und mich. Das ist das Gefühl.«
Ich hatte überhaupt nicht vorgehabt, Andrew zu quälen, als ich ihm die M&Ms hinstellte und ihn fragte, wie es ihm damit ginge.
»Sie stellen eine unglaubliche Ablenkung dar«, räumt er ein.
»Würde es Ihnen besser gehen, wenn Sie welche
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