Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Knochen, die Beine geschwollen, der Bauch rund wie ein Ballon! Die Geometrie des Körpers ist auf den Kopf gestellt: Zuerst hat man breite Schultern und schmale Hüften, jetzt habe ich schmale Schultern und einen riesigen Bauch. Wieso sollte ich an diesem Körper hängen? Einem Körper, der mit jedem Tag schwächer wird, dem die Haare ausfallen, der nur noch humpeln kann, an dem die Chirurgen herumschnippeln?
Wir sind nicht dieser Körper. Aber was sind wir dann?
Wir glauben, all das zu sein, was wir mit dem Tod zu verlieren fürchten. Unsere Identität. Da hast du dich mit deinem Beruf identifiziert, Journalist, Rechtsanwalt, Bankdirektor, und der Gedanke, dass all das auf einmal verschwindet, dass du nicht mehr der große Journalist oder der erfolgreiche Bankdirektor bist, dass der Tod dir all das nimmt, erschüttert dich. Und dann alles, was dir gehört - das Fahrrad, das Auto, ein wertvolles Bild, das du dir mit den Ersparnissen deines ganzen Lebens gekauft hast, ein Grundstück, ein Häuschen am Meer. Alles deins! Und jetzt stirbst du und verlierst es. Der Grund, warum wir solche Angst vor dem Tod haben, ist, dass wir plötzlich auf alles verzichten müssen, woran unser Herz hängt, unseren Besitz, unsere Wünsche, unsere Identität. Ich habe das bereits hinter mir. In den letzten Jahren habe ich all diese Dinge über Bord geworfen, und jetzt gibt es nichts mehr, woran ich hänge.
Denn natürlich bist du nicht dein Name, natürlich bist du nicht dein Beruf und auch nicht dein Haus am Meer. Und wenn du schon im Leben lernst, zu sterben, wie die Weisen der Vorzeit es gelehrt haben - die Sufis, die Griechen, unsere geliebten Rischis im Himalaja -, dann gewöhnst du dich daran, dich mit diesen Dingen nicht zu identifizieren und zu erkennen, was für einen absolut begrenzten, vorübergehenden, lächerlichen, vergänglichen Wert sie haben. Wenn dein Haus am Meer eines Tages - wrumm! - von einer Sturmflut fortgerissen wird; wenn dein Sohn, einer wie du, der du so lange mein Kind gewesen bist, um den ich mir so viele Gedanken und manchmal auch Sorgen gemacht habe, aus dem Haus geht und ihm ein Ziegelstein auf den Kopf fällt und auf einmal - wrumm! - alles vorbei ist, dann begreifst du, dass du unmöglich etwas sein kannst, was einfach so verschwindet.
Und wenn du im Laufe des Lebens zu begreifen beginnst, dass du nicht diese Dinge bist, dann trennst du dich allmählich davon, dann lässt du sie los. Dann lässt du auch das los, was dir am teuersten ist. Für mich war das die Liebe zu deiner Mutter. All die siebenundvierzig Jahre, die wir zusammen gewesen sind, habe ich deine Mutter geliebt, und wenn ich sage, dass ich diese Liebe loslasse, heißt das nicht, dass ich sie nicht mehr liebe, sondern dass ich nicht mehr Sklave dieser Liebe bin; dass ich nicht mehr von ihr abhänge; dass ich mich auch von ihr gelöst habe. Diese Liebe ist Teil meines Lebens, aber ich bin nicht diese Liebe.
Ich bin vieles … oder vielleicht auch nichts. Aber ich bin nicht diese eine Sache. Und der Gedanke, im Moment des Todes diese Liebe zu verlieren, dieses Haus in Orsigna zu verlieren, dich und Saskia zu verlieren, meinen Beruf zu verlieren, kümmert mich nicht mehr. Er macht mir keine Angst mehr, denn ich habe mich daran gewöhnt. Das hat mich der Himalaja gelehrt, die Einsamkeit dort oben, die Natur, das Glück, diese Krankheit zu bekommen und die Gelegenheit zu haben, über diese Dinge nachzudenken.
Der andere wesentliche Punkt im Leben eines Menschen, der nicht nur älter, sondern auch reifer wird, wie hoffentlich auch ich, ist das Verhältnis zu seinem Verlangen. Das Verlangen ist unsere große Triebfeder. Hätte Kolumbus nicht das Verlangen verspürt, einen neuen Weg nach Indien zu finden, hätte er Amerika nie entdeckt. Der ganze Fortschritt des Menschen, oder Rückschritt, wenn du so willst, die ganze Zivilisation oder De-Zivilisation ist auf das Verlangen zurückzuführen, alle Arten von Verlangen, angefangen vom einfachsten, dem körperlichen, dem Verlangen, das Fleisch eines anderen zu besitzen.
Das Verlangen ist ein unglaublicher Antrieb, das will ich gar nicht bestreiten. Es ist wichtig und hat die Geschichte der Menschheit geprägt. Aber noch einmal: Wenn du anfängst, es genauer zu betrachten - was ist dieses Verlangen dann? Was sind diese Bedürfnisse, denen du dich nicht entziehen kannst? Vor allem heute, in dieser Gesellschaft, die uns dazu drängt, Bedürfnisse zu erfinden und besonders den banalsten, den
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