Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
Vom Netzwerk:
in einem benachbarten Kirchspiel, selbst wenn er nicht ganz so viel Unfug getrieben haben mag. Aber genau wie Michel hat auch er für zwei oder fünf Öre Gatter geöffnet, und genau wie Michel hat auch er Krebse gefangen, sechzig Schock in einer einzigen dunklen Augustnacht, ist das wohl zu glauben! Und auf Jahrmärkten und Versteigerungen und sogar beim häuslichen Katechis m usverhör war er nicht weniger bewandert als Michel – und er konnte davon erzählen!
    Bei einem Katechis m usverhör in Katthult frag te der Pastor einmal Lina: »Na, Lina, wie hießen denn nun unsere ersten Eltern?« Und ohne mit der Wimper zu zucken antwortete Lina: »Thor und Freya.« U m die Wahrheit zu sagen, war es aber nicht Lina, sondern ein ganz anderes småländ isches Heidenkind, das diese Antwort bei einer Gelegenheit gegeben hat, und Samuel August war dabei und hat diese Worte in der Schatzkammer seiner Erinnerung aufbewahrt, die voller Schnurren und Schwänke aus dem sm å ländischen Leben war. Dem Leben des »ungehobelten Bauernvolkes« – wie er die eigene Gesellschaftsschicht schlicht und gelassen bezeichnete.
    Als ich mich daranmachte, über Michel zu schreiben, war Samuel August für mich mehr wert als jedes Nachschlagewerk. So mußte ich beispielsweise ja wissen, was dies oder jenes dazumal gekostet hat, und Samuel August wußte es noch auf Krone und Öre. Er entsann sich genau, wieviel er für jede Kuh und für jeden Ochsen zu zahlen hatte, als er Ende des vorigen Jahrhunderts selbständiger Bauer geworden war. Er erinnerte sich noch an Stiere, die vor einem halben Jahrhundert aufgehört hatten zu brüllen, ja er erinnerte sich einfach an alles. Sogar an jenen Tierarzt, der lange vor der Jahrhundertwende auf unserer Rinderkoppel ein Hengstfohlen zu kastrieren hatte und verlangte, daß Samuel August und sein Bruder Linnert den Kopf des Fohlens halten und ihm als eine Art Narkose tröstend vorsingen sollten:
    »Schon gut, kleines Fohlen, armes kleines Pferd!«
    »Dabei konnte Linnert keinen einzigen Ton treffen«, sagte Samuel August entrüstet, als er davon erzählte. Nun kann nicht verschwiegen werden, daß auch Samuel Augusts Singstimme nicht gerade dazu geeignet war, Schmerzen irgendwelcher Art zu lindern. Mit dieser Narkose war es also sicherlich nicht weit her gewesen, armes kleines Pferd!
    Davon steht in den Michel-Büchern jedoch nichts. Hingegen findet sich »Schon gut, kleines Fohlen« in abgewandelter Form an anderer Stelle – wo, sage ich nicht. Etwas kann der Leser ja auch selber herausfinden, nicht wahr?
    Mein Vater hat mir viel erzählt, und auch ich habe ihm, als er alt und so schwachsichtig geworden war, daß er nicht mehr lesen konnte, mancherlei erzählt. Aus dem letzten Michel-Buch hat er, kurz bevor er von uns ging, nur noch von Michels Bravourstück auf der Versteigerung in Backhorva erfahren. Da er selber sein Leben lang mit großem Vergnügen Geschäfte getätigt hat, fand er an Michels Gewitztheit großen Gefallen. Nachdem ich ihm von dieser Versteigerung in Backhorva erzählt hatte, vergingen ein paar Monate bis zu unserem nächsten Wiedersehen, und da fragte er gleich als erstes: »War Michel mal wieder auf 'ner Auktion?«
    Leider war er das nicht!
    Ja, aber Mio, mein Mio – wie wurde denn dieser Hecht aus dem Fischkasten gekeschert? Ein einsamer Junge saß traurig auf einer Bank in einer Stockholmer Parkanlage, und ich ging an ihm vorbe i . So einfach war es.
    Einfälle, hat Olga gesagt! Viele davon sind eigentlich gar keine Einfälle, sondern nur Umdichtungen eigener Erlebnisse in einer fernen Kindheit, die in der Erinnerung aufblitzen gleich dem huschenden Schein eines Leuchtfeuers.
    »Inga und ich, wir wissen selbst nicht, was wir tun«- tatsächlich saßen meine Schwester und ich einst einen ganzen langen, seligen Maitag lenzestrunken unter einem blühenden Faulbaum auf je einem Brett in einem rauschenden Wassergraben und spielten, wenn auch nicht mit einem Frosch wie die Bullerbü-Mädchen, sondern mit einem Regenwurm. Armer Regenwurm, mit seiner Seligkeit war es an diese m Maitag wohl schlecht bestellt!
    » O le hat einen losen Zahn« – ach, wer hat keine wackligen Milchzähne gehabt, die unter Gewimmer und Geschrei mit einem Zwirnsfaden herausgezogen wurden. Wieso durften die Zähne eigentlich nie von allein ausfallen?
    »Lisabet steckt sich eine Erbse in die Nase« – ach, wie viele Erbsen hat man sich nicht selber in die Nase gestopft und ist damit heulend zur Mutter gelaufen,

Weitere Kostenlose Bücher