Das Erbe - Das Tal - Season 2 ; Bd. 2
nur wenige Meter entfernt. Rose kam es vor, als baumele sie in dem Netz einer Spinne. Sie waren nichts als Fliegen, um die sich die klebrigen Fäden immer dichter spannen. Unwillkürlich wischte sie mit der Hand über die Jeans. Als könnte sie sich so aus dem Gespinst befreien, während das Gegenteil der Fall war. Mrs Hill und Isabel drängten sich eng aneinander in dem Spalt zwischen dem Schrank und der Fensterwand. Sie machten keinerlei Versuch, in das Geschehen einzugreifen. Fest aneinandergeklammert flüsterten sie sich tröstende Sätze zu, die nur für sie selbst bestimmt waren. Natürlich wusste Rose, dass reiner Selbsterhaltungstrieb ihr Verhalten bestimmte. Und sie wünschte sich für einen Moment, sie hätte jemanden, an den sie sich klammern konnte.
Die meisten Studenten hatten ihre Plätze wieder eingenommen und verhielten sich ruhig. Jana, Marie und Felicitas saßen bei Nikita, die beiden Footballer Ethan und Taylor lehnten an der Wand, die mächtigen Arme verschränkt, die Mienen versteinert. All ihre Muskeln halfen ihnen nichts in Anbetracht der Macht, die Toms Waffe ihm verlieh.
Auch Julia und Chris hatten sich vom Boden erhoben und saßen nebeneinander hinter dem Tisch, an dem Julia über der Prüfung gebrütet hatte. Rose kam es vor, als seien seitdem Stunden vergangen, aber das täuschte. Es war noch nicht mal eine Stunde her.
Chris hielt Julia fest umschlungen. Ihr Gesicht war leichenblass. Jedes Mal, wenn sie Roberts Namen erwähnte, zog Chris sie näher an sich heran und sein Mund lag auf ihrem Haar, bis sie sich wieder von ihm löste, als bekäme sie in seiner Umarmung keine Luft.
Rose versuchte, jeden Gedanken an David zu verdrängen. Sie sah zu Katie hinüber, die nach wie vor mit angezogenen Knien unterhalb des Fensters saß. Ihr Kopf lag auf den Armen, die sie über den Knien verschränkt hatte. Nur ihr rechter Fuß, der hin und her wippte, ohne Ruhe zu finden, verriet ihre Anspannung. Rose fragte sich, woran sie jetzt dachte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Katie sich einfach ihrem Schicksal ergeben würde.
Bei Debbie war das etwas anderes.
Sie hatte inzwischen aufgehört, zu jammern und zu schluchzen. War zu einer anderen Strategie gewechselt, die darin bestand, sich einen Platz in Toms Nähe zu suchen. Nicht mehr als zwei Meter von ihm entfernt starrte sie abwechselnd auf den schwarzen Kasten, den er vorne auf dem Pult deponiert hatte, dann wieder fixierte sie Tom. Die Haltung, mit der sie auf ihrem Stuhl saß, beide Beine geschlossen, die Füße fest aneinandergepresst, die Hände gefaltet, war ein deutliches Signal. Sie demonstrierte pure Unterwürfigkeit.
Angeekelt wandte sich Rose ab und widmete ihre Aufmerksamkeit Tom, der die Gruppe keinen Moment aus den Augen ließ. Er stand immer noch vorne vor dem Pult, die Waffe lässig in der rechten Hand. Sie hatte sich nie besonders für ihn interessiert oder ihn wahrgenommen, aber dieses Bild würde sich für immer in ihr Gehirn einbrennen.
Seine schmale Gestalt schien ebenso durchsichtig, wie sein Gesicht blass war. Er verriet keine Nervosität, zumindest nicht in dem Sinn, dass er fürchtete, etwas könnte schiefgehen.
Aber Rose spürte den Druck, unter dem er stand. Die ganze Aktion war geplant. Daran gab es keinen Zweifel. Gleichzeitig strahlte er etwas aus, was sie als Unberechenbarkeit empfand. Vielleicht lag es an dem Lächeln, das auf seinem Gesicht lag und das jeglicher Grundlage entbehrte. Der Komödiant in ihm hatte sich nicht aufgelöst. Er war immer noch der Schauspieler, als den sie ihn kennengelernt hatte, und spielte den großen Zampano, der nur die Rollen annahm, die ihm gefielen.
Genau das löste eine neue Welle der Angst in ihr aus. Sie glaubte, sich übergeben zu müssen, und maß den Abstand bis zum Papierkorb in der Ecke. Die Angst einfach … auskotzen. Sie spielte mit dem Gedanken, als hätte sie auf diese Weise wirklich eine Chance, sich von der Furcht zu befreien.
Dann plötzlich ging ein Ruck durch die Gruppe, als Tom die Hand hob und rief: »Also, hört mir zu. Das sind die Regeln!«
Jeder von ihnen schien Mühe zu haben, die Starre abzustreifen, in die sie gefallen waren. Nur Debbie saß unverändert da, in dieser aufrechten Haltung, als wollte sie Tom zu verstehen geben, sie sei seine einzige Verbündete hier im Raum.
»Die erste Regel lautet: Ich werde alle fünfzehn Minuten einen von euch erschießen …«
Er hatte den Satz noch nicht beendet, als Debbie hochschreckte und zu schreien
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