Das Erbe der Drachen Teil 1 - Der brennende Traum
verstieß mich. Niemand wollte wissen, dass ich mit dem Diebesmeister das Bett geteilt hatte. Aber jeder sprach davon, ich hätte etwas mit einem Mitschüler gehabt. Ich war über Nacht mittellos. Ich schlug mich durch und versuchte, mein erlerntes Können einzusetzen. Ich war schlecht. Ich war keine gute Diebin, noch nicht. Man erwischte mich. Sperrte mich ein. Bestrafte mich mit Schlägen. Bestrafte mich mit anderen Dingen. So vergingen die Jahre und es verschlug mich nach Lindoria, wo ich ein Leben fristete, über das ich nicht ins Detail gehen will.«
Trevor spürte Schweiß auf seinem Rücken. Es schwindelte ihn.
»Wer ist mein Vater?«, hauchte er. So war er. Er zeigte kein Mitgefühl, obwohl es in ihm tobte, obwohl er seine Mutter am liebsten an sich gedrückt, ihr filziges Haar gestreichelt hätte ... nein, er blieb reserviert. »Wer?«
» Kannst du es dir nicht denken?« Ihre Augen flossen über vor Erinnerungen und Trauer. »Ich hörte, er blieb. Er akzeptierte, dass man mich verstieß. Wie konnte er das nur tun? Er wusste, wer du bist, doch er schwieg. Wie konnte er das tun? Ich weiß nicht, womit Grodon ihn unter Druck setzte, aber er akzeptierte, dass der Diebesmeister dich erzog.« Nach einer kleinen Pause sagte sie: »Vermutlich drohte man ihm mit Ausschluss aus der Gilde. Er war der ehrgeizigste Mann, der mir jemals begegnete. Er hätte alles getan, um in der Gilde bleiben zu dürfen.«
Ehrgeizig!
»Er war der perfekte Dieb.«
Perfekt!
»Niemand konnte ihm das Wasser reichen.«
» Er tauschte dich und mich gegen die Gilde ein. Deshalb ließ er zu, was man dir antat«, murmelte Trevor.
» Vielleicht, Trevor. Ich weiß es nicht. Aber es könnte sein.«
» Und dennoch war er jahrelang bei mir. Erst wenige Jahre vor meiner Prüfung verließ er die Halle und erfand die »Innere Quinte«.«
Vor ein paar Tagen war ich mit ihm in einem Raum, und er beobachtete mich, wie ein Vater, der sich vergewissern will, was sein Sohn vermag.
»Also weißt du, wer dein Vater ist?«
» Ja, Mutter. Es ist L’okien, der Gedankendieb.«
Sie nickte still.
Nun beugte er sich doch vor und nahm Zola, seine Mutter, in den Arm. Und das erste Mal in seinem Leben weinte er. Weinte über den Verlust seiner Kindheit, aus Mitgefühl für seine Mutter, aber auch aus Zorn über das, was man ihm und ihr angetan hatte.
Und er begriff, dass seine Mutter recht gehabt hatte.
Er würde Rache üben.
An Chargos L’okien und an L’ordynn Grodon, an den Männern, die sein Leben zu einer Lüge gemacht hatten.
9
Soeben wollten sie die Matrosen in Empfang nehmen, die eine Werkzeugkiste, zwei Spitzhacken und Hammer dabei hatten, als sich die Dunkelheit verdichtete. Zwei Maguslichter beleuchteten ihre Gesichter von unten, während sie eifrig ruderten.
Darius wies nach vorne. »Seht!«
Wo vor Sekunden noch Sterne geleuchtet hatten und der Halbmond sich hinter einer grauen Wolke versteckte, erhob sich aus dem Meer ein Nebel, der einem Trichter glich, eine erstaunliche Form und eindeutig nicht natürlichen Ursprungs.
»Das ist es«, keuchte Bob. »Das meinte ich.«
Der Nebel verwirbelte wie Tabakrauch, in den man hineinbläst. Klüfte, Schwünge, Kringel, Wolken.
»Woher kommt das?«, fragte Kapitän Chuzzlewit.
» Es sieht, als steige es aus dem Wasser«, sagte Darius.
Die Matrosen ruderten die letzten paar Meter. Ihre Augen waren weit aufgerissen, denn ihr seemännischer Aberglaube machte ihnen zu schaffen. Sie fürchteten sich und blickten immer wieder zurück zur Irbina , die immer mehr von dem Nebel eingehüllt wurde.
» Es frisst sie!«, schrie einer der Matrosen.
» Bei den Göttern, das sind Dämonen!«, rief ein anderer, während sie wild die Ruder ins Wasser tauchten.
Im selben Moment sauste der Nebel wie eine Schlange über den Wasserspiegel, verwirbelte um die Matrosen, verharrte zwei Atemzüge und machte sich wieder davon. Es sah aus, als hätte sich nichts geändert. Die vier Männer saßen in der Jolle und starrten vor sich hin. Keiner von ihnen ruderte, stattdessen hatten sie offene Münder und kugelrunde Augen.
»Kommt, wir warten auf euch«, rief Kapitän Chuzzlewit.
Nichts geschah. Die Männer wirkten wie versteinert. Dann blickten sie einer nach dem anderen auf, während die Münder nach wie vor geöffnet waren wie bei Idioten, und ganz langsam griffen sie die Ruder und begannen sich zu bewegen. Ihre Bewegungen wirkten abgehackt und seelenlos, als habe man ihnen Kraft und Verstand aus dem Körper
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