Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Blutstropfen ab, bevor er die ruinierte Arbeit sorgfältig wieder in dem kleinen Säckchen verstaute. Nachdem er sich seinen schlauchartig gezurrten Reisebeutel und die Heuke wieder über die Schulter geworfen hatte, erhob er sich mit einem tiefen Seufzen und setzte lustlos den Weg nach Osten fort.
Mit leerem Herzen folgte er der sich den Hang hinaufwindenden Straße, die ihn mit jedem Schritt weiter von Straßburg fortführte – der Stadt, in der er im Schatten des gewaltigsten Kirchenbauwerks der Welt aufgewachsen war. Dem Ort, an dem er gelernt hatte, der harten Oberfläche des Steins Formen zu entlocken, die selbst die altgedienten Steinmetze mit Hochachtung für den talentierten jungen Hauer erfüllt hatten. Doch was hätte ihn nach der Eröffnung seiner angeblichen Mutter noch dort halten sollen?!
»Er sagt die Wahrheit«, hatte diese ihm mit niedergeschlagenen Augen gestanden, nachdem er sie beinahe körperlich bedrängt hatte, den Lügen des Bruders zu widersprechen. »Deine leibliche Mutter hat dich kurz nach deiner Geburt in meine Obhut gegeben, um dich vor den Nachstellungen ihres Gemahls zu schützen.«
Und so hatte er zuerst ungläubig und dann mit zunehmendem Zorn erfahren, dass er der uneheliche Spross der Gräfin Katharina von Württemberg und einem unbekannten Ritter war. Bei dem Gedanken an seine leiblichen Eltern überkam ihn heftige, mit verletztem Stolz vermischte Verachtung. Ihn in der Hand einer bezahlten Amme zu lassen, ohne sich jemals die Mühe zu machen, auch nur nach seinem Wohlbefinden zu fragen!
»Immer und immer wieder habe ich Nachricht an die angegebene Adresse gesandt. Aber als nach drei Jahren immer noch keine Antwort kam, mussten wir eine Entscheidung treffen. Also haben wir dich als unser eigenes Kind angenommen«, hatte Anabel Steinhauer schluchzend gestanden. »Es war genug Geld für deinen Unterhalt da.« Ihre Stimme war verstummt, als sie Wulfs geringschätzigen Blick auf sich gespürt hatte.
Wütend trat er einen Stein aus dem Weg, der nach wenigen Schritten in einem der tiefen Schlaglöcher verschwand. Über ihm peitschte der sich zu einem Sturm auswachsende Wind die mit jungem Grün besetzten Äste der Bäume, die einen unwirklichen Kontrast zu dem schwefelfarbenen Himmel bildeten. Die weiten Ärmel seines Hemdes flatterten heftig, und hätte er den schwarzen Filzhut nicht schon vor Stunden in seinen Gürtel gesteckt, wäre dieser sicherlich davongeflogen.
»Das ist alles, was ich von ihr habe«, hatte die Gemahlin des Steinmetzen kleinlaut gestanden und ihm ein mit einem Wappen besticktes Taschentuch in die Hand gedrückt. Das Erbe der Gräfin! Entgegen der in ihm brodelnden Wut hatte er den buckelnden schwarzen Kater, der auf einem stilisierten Burgfelsen das Fell sträubte, neugierig betrachtet. Und versucht, sich den dazugehörigen Ritter vorzustellen.
»Sein Sitz muss wohl in der Nähe von Ulm sein«, hatte seine Ziehmutter ihn mit einem resignierten Schulterzucken wissen lassen, doch bevor er weiter in sie dringen konnte, war sein Vater – der Steinmetz – heimgekehrt. Der furchtbare Streit, in dem die beiden Männer daraufhin beinahe handgreiflich geworden wären, ließ Wulf immer noch die Haare auf den Unterarmen zu Berge stehen.
Mit gesenktem Kopf folgte er der Biegung des Weges, an dessen Ende eine Gruppe schäbig wirkender Reisender auftauchte, die sich rasch näherten. Wie um sich zu versichern, dass die Waffe noch dort war, griff er an den Gürtel und umfasste den Knauf des langen, beruhigend kühlen Dolches, den er einen Fingerbreit aus seiner Scheide befreite. Man wusste nie, wie schnell man reagieren musste! Während die wie fahrendes Volk gewandeten Männer und Frauen immer näher kamen, erhellten die ersten Blitze den Himmel, und bei dem darauf folgenden tiefen Donner zuckte nicht nur Wulf zusammen. Ohne den jungen Mann zu beachten, zogen sich die Reisenden die Kapuzen und Gugeln über die Köpfe und beschleunigten die Schritte, um noch vor dem Einsetzen des Regens den Wald zu erreichen. Wider Willen erleichtert machte Wulf einige Augenblicke Halt, um sein Wams zuzuknöpfen, bevor auch er zügiger auf das in ein lang gezogenes Tal geduckte Dorf vor sich zusteuerte. Sicherlich gab es dort eine Herberge, in der er Unterschlupf vor dem Unwetter finden konnte.
Während die ersten dicken Tropfen auf das noch lückenhafte Laubdach des Waldes klatschten, eilte er vorbei an einer Handvoll unbeirrt aussäender Bauern, die von dem drohenden Toben der
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