Das Erbe Der Loge: Roman
Pest oder einen Unfall an den Hals gewünscht hatte, fiel es mir doch schwerer als geglaubt, aus der Distanz zu schreiben. Irgendwie hatte sich zwischen uns eine Seelenverwandtschaft gebildet, bei der der Tod eines von uns beiden nicht vorgesehen war.
War ich mitschuldig daran?
Kurz vor Redaktionsschluss hatte ich meine Story fertig, und wie ich fand, war es eine der schlechtesten, die ich jemals verbrochen hatte.
Wenn ich sonst die Plattform meiner Zeitung dazu genutzt hatte, kein gutes Haar an ihm zu lassen, würden sich meine Leser jetzt fragen, ob ich noch ganz bei Verstand war. Aber ich brachte es einfach nicht fertig, etwas Schlechtes über ihn zu schreiben. Aus und vorbei. Vergeben und Vergessen.
Seine Fraktion konnte keinen besseren Nachruf verfassen.
»Trotzdem werde ich mich mal näher mit deiner Vergangenheit befassen«, schwor ich ihm beim ersten Bier in meiner Stammkneipe am Dom und widmete mich einem Buch über das Tarot.
»Ist hier noch frei?«
Die Frage konnte nicht von einem Einheimischen kommen. An einem Stehtisch ist in Köln immer noch ein Platz frei. Ohne vom Buch aufzusehen, machte ich eine einladende Handbewegung.
»Vielen Dank«, sagte eine etwas verrauchte Stimme und setzte ihre Handtasche auf die Platte.
Ein kurzer Blick von mir ... dann noch einer.
Die Frau war etwa Mitte Dreißig, mittelgroß, südländischer Typ mit dunklen Haaren. Und sie hatte Augen, die mich sofort in ihren Bann zogen.
»Sie sind nicht von hier?«, versuchte ich den Ansatz einer Kommunikation und schalt mich gleich einen Narren.
Wenn sie nicht auf den Mund gefallen war, würde ich als Gegenfrage »Sieht man das?« erhalten. Und was sagte ich dann, um nicht unhöflich zu wirken?
Sie bestellte einen Kaffee und zündete sich eine Zigarette an.
Extrem schöne Hände hatte sie auch noch.
»Nein, ich bin aus Israel«, umschiffte sie die Klippe, die ich mir selbst gebaut hatte.
Woher sie fast perfekt Deutsch konnte, traute ich mich schon nicht mehr zu fragen.
»Ich heiße Hannah. Hannah Motzkin«, kam sie mit entwaffnender Offenheit meinem stillen Wunsch entgegen, sie kennen zu lernen.
»Peter Stösser. Angenehm«, stellte ich mich mit einer leichten Verbeugung vor, da ich nicht wusste, ob es in Israel unhöflich war, einer Frau gleich die Hand zu reichen.
»Der Journalist, der den Bericht über den Kasten vom Dom ...?«
Woher wusste sie, dass ich mich hinter dem Kürzel »PS« versteckte, das ich ausschließlich unter meinen Artikeln verwendete?
»Ich wollte mich ohnehin mit Ihnen in Verbindung setzen«, redete sie munter drauflos. »Vielleicht können Sie mir helfen, meine Vergangenheit zu durchleuchten. Ich habe nach dem Tod meines Vaters in seinem Nachlass etwas gefunden, was ich gerne ergründen würde. Alleine komme ich nicht weiter.«
Wenn es jemand anderes als diese interessante Frau gewesen wäre, der mich um Hilfe gebeten hätte, wären mir sämtliche Ausreden der Welt eingefallen, es nicht zu tun. Aber diese Hannah hatte etwas, was ich bei einheimischen Frauen bisher vermisst hatte - was mit der Grund war, weshalb ich auch nie einen Drang verspürt hatte, eine längere Bindung einzugehen.
»Wissen Sie, ich weiß nämlich nicht, wer mein Vater wirklich war.«
Das hätte ich auch ganz gerne gewusst. Aber meine Mutter hatte ihr ganzes Leben geschwiegen, wenn ich danach fragte. Irgendwann war es mir zu dumm geworden, und ich hatte mir die Geschichte ausgedacht, dass er in einem russischen Lager nach dem Krieg umgekommen sei. Damit war die Angelegenheit für mich vom Tisch, und ich konnte das Mitleid meiner Lehrer und Mitschüler zu manchem Vorteil für mich nutzen.
»... ich habe da etwas gefunden, was wie ein Codebuch aussieht«, holte mich Hannah an den Tisch zurück. »Es ist in Hebräisch gedruckt.«
»Ist das ein Grund, in Köln nach der Familienvergangenheit zu suchen?«
»Ja. Die Druckerei, die es 1935 hergestellt hat, war in Köln. Das geht aus dem Impressum hervor. Aber die gibt es nicht mehr. So weit bin ich schon vorgedrungen.«
»Was ist so Wichtiges an dem Buch?«
Mir fehlten die Zusammenhänge, ihren Weg von Israel nach Köln nur über das Impressum eines Buches herzuleiten. In dieser Zeit war bestimmt noch eine Reihe hebräischer Bücher von deutschen Verlagen gedruckt worden. Denn ernsthafte Probleme bekamen die jüdischen Deutschen erst mit den im September 1935 erlassenen Nürnberger Gesetzen. Diese beschnitten massiv die Bürgerechte dieser Volksgruppe und waren
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