Das Erbe der Pandora
werden.« Der Wind pfiff,
und Iris erschauderte wie auf ein Stichwort. »Da ist noch etwas anderes. Die
Unterlagen bei Harvard besagen, daß Evan Finn im vergangenen Jahr starb.«
»Das ist einfach nur ein Versehen.«
»Wirklich?«
»Iris«, sagte Sam vorwurfsvoll. »Sie
haben zu viele geheimnisvolle Kriminalgeschichten gelesen.«
»Ich mag keine Kriminalgeschichten.
Und ich mag auch keine Geheimnisse. Ich mag es, wenn alles offengelegt wird,
klar und deutlich, leicht verständlich.«
Sam lächelte sie geduldig an. »Das
glaube ich nicht, Iris.«
Sein herablassender Tonfall ließ sie
endgültig vor Kälte erstarren. »Erzählen Sie mir, warum Evan hier ist, Sam.«
»Sie haben ihn eingestellt.«
»Sie haben mir die Daumenschrauben
angelegt.«
»Unsinn. Sie hatten das letzte Wort.
Das haben Sie mir deutlich zu verstehen gegeben.«
»In Ordnung. Ich werde ihn in Kürze
entlassen.«
»Tun Sie das nicht.« Sam stellte die
Beine hastig nebeneinander, so als hätte man ihm einen Schock versetzt. Er
streckte die Hände flehentlich zu ihr aus. »Versuchen Sie es noch ein wenig
länger mit ihm. Er ist ein guter Junge. Geben Sie ihm eine Chance. Einen
Monat.«
»Garland Hughes hat mir erzählt, daß
Yale Huxley und T. Duke Sawyer seit ewigen Zeiten Busenfreunde sind. Was geht
hier vor sich, Sam?«
Den Namen von Garland, von seinem
ehemaligen Chef, zu hören, ließ Sam zusammenfahren. »Ich weiß nicht, was das
mit irgendwas anderem zu tun haben soll. Viele Männer wie Huxley und Sawyer
verkehren in den gleichen Kreisen, gehören denselben Clubs an.«
»Sie sollten wissen, daß ich
herausfinden werde, warum Evan hier ist.«
Sam tat nun fast eingeschnappt. »Evan
wird diesem Büro gute Dienste erweisen, Iris. Sie müssen auf meine Erfahrung in
solchen Angelegenheiten vertrauen. Ich bin schon länger in diesem Geschäft als
Sie.« Er sah auf die Uhr. »Ich muß los. Halten Sie mich auf dem laufenden.
Denken Sie daran, morgen früh um zehn findet mein Konferenzgespräch mit den
Geschäftsführern der Niederlassungen statt. Wir sprechen uns dann.«
Er öffnete die Tür, eilte hinaus und
verweilte noch bei Evan, um ihm kurz auf die Schulter zu klopfen und ein paar
Worte mit ihm zu wechseln.
Louise kam mit einem Umschlag von
Natalie Tyler zu Iris ins Büro.
Iris, die nach ihrer Unterhaltung mit
Sam noch immer wütend war, zog verärgert an der Lasche und schlitzte dann den
kartonierten Umschlag auf.
»Haben Sie aus Sam etwas
herausbekommen?« fragte Louise.
Iris schüttelte den Kopf.
»Warum feuern Sie Evan nicht einfach?«
Louise sprach mit leiser Stimme, die keine fünfzehn Zentimeter zu hören sein
sollte — ein Verhalten, das jeder, der in einem überfüllten Büro arbeitete, gut
beherrschte.
Iris antwortete ebenso leise. »Das
werde ich. Aber zuerst will ich herausfinden, warum er hier ist. Wenn ich ihn
entlasse, verliere ich die Gelegenheit, Beweismittel zu sammeln. Ich brauche
eindeutige Beweise dafür, daß Sam etwas vorhat.« Sie zog mehrere gefaltete
Blätter von schwerem Malpapier aus dem Umschlag und öffnete sie.
Louise hielt den Atem an. »Mein Gott!
Hat die kleine Brianna das gemalt?«
Sprachlos sah Iris die Bilder durch
und legte eines hinter das andere. Fünf waren es insgesamt, alles Variationen
desselben Themas. Auf dreien war Slade Slayer zu sehen, der auf die am Boden
liegende und blutende Bridget schoß. Zwei zeigten Slade Slayer, der sich mit
einer Steinschleuder in der Hand über Bridget beugte. Auf allen war eine
winzige Gestalt zu erkennen, die in der Ecke hinter der Terrassentür kauerte.
Stetson, der Schäferhund, tauchte in drei Zeichnungen auf.
Iris fühlte sich leer. Sie hatte nicht
vergessen, daß Brianna Augenzeugin gewesen war, aber in gewisser Weise hatte
sie es vergessen wollen. Die Zeichnungen brachten alles wieder zurück.
»Das sind erstaunlich viele
Einzelheiten für eine Fünfjährige«, meinte Louise.
»Bis hin zum Halsband von Stetson und
den berühmt-berüchtigten Sandalen. Es ist logisch, daß sie die Schuhe des
Mörders gesehen hat, weil sie wahrscheinlich in einer Ecke auf dem Boden
kauerte.«
»Geben Sie die Bilder der Polizei?«
Iris legte den Kopf zur Seite. »Daran
hatte ich noch nicht gedacht. Deren Ermittlungen waren bisher so einseitig, daß
ich nicht mehr mit ihnen rechne.« Sie sah die Bilder noch einmal durch.
»Hiervon scheint nichts einen Hinweis darauf zu geben, wer der Mörder sein
könnte. Wenn Brianna mehr zeichnete, würde sie sich vielleicht
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