Das Erbe der Phaetonen
seiner ersten Fahrt in den Kosmos, und er würde im Raumschiff die gleichen Pflichten zu erfüllen haben. Und auch er würde auf der Erde eine junge Frau zurück- lassen.
Melnikow schloß die Augen. Wie leibhaftig stand ihm die Frau, die er liebte, vor Augen – und er fühlte, wie sein Herz sich schmerzhaft zusammenzog.
Die Liebe versetzt alles in Bewegung!
Die Liebe zu den Menschen, die Liebe zur Familie, die Liebe
zur Arbeit und schließlich die Liebe zum Wissen, die den Men- schen zum Herrn der Erde gemacht hat.
Boris Melnikow liebte die Arbeit.
Das war die Stimme des Blutes. Sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater waren Arbeiter gewesen. Er selbst hatte zwar einen anderen Weg eingeschlagen, er war Journalist ge- worden. Aber auch hier dehnte sich vor ihm ein weites Schaffens- feld. Er hatte seinen Beruf leidenschaftlich geliebt und geglaubt, ihm nie untreu werden zu können. Aber da begegnete er Kamow. Eine märchenhafte Wendung des Schicksals – er wurde an Bord eines Raumschiffes verschlagen, und alles änderte sich von Grund auf. Ihm wurde klar, daß es für ihn ein Leben ohne Fahrten in den Kosmos nicht mehr geben könne, und er war überzeugt, für alle Zeit die Erfüllung gefunden zu haben.
Doch auch seine Stunde kam. Die Liebe zu einer Frau, das älteste und mächtigste Gefühl des Menschen, packte ihn, als er zweiunddreißig Jahre alt war.
Anfangs erschrak er vor diesem neuen Gefühl, weil er dachte, die Liebe würde ihn hindern, das Ziel, das er sich gesteckt hatte, zu erreichen. Inzwischen hatte er eingesehen, daß die Gewiß- heit, auf der Erde einen liebenden Menschen zu haben, der auf deine Rückkehr wartet, die Kräfte verdreifacht, statt sie, wie er befürchtet hatte, zu schwächen.
Nie würde er Kamows Worte vergessen. Als Sergej Alexan- drowitsch erfuhr, daß Melnikow seine Tochter liebte, aber be- sorgt war, die Liebe könne sich zum Schaden seiner Arbeit aus- wirken, hatte er gesagt: „Die richtige Frau schadet nie, im Gegenteil – sie hilft dem Mann bei all seinem Tun.“
Jetzt nach drei Jahren war Melnikow überzeugt, daß er die richtige Frau gewählt hatte. Olga billigte leidenschaftlich all seine Pläne, und die unvermeidlichen langen Trennungen schie- nen sie nicht im geringsten zu schrecken.
Sie hatten sich zufällig in einem Kurort kennengelernt, und Melnikow hatte sich zu ihr hingezogen gefühlt, ohne zu wissen, daß sie Kamows Tochter war. Olga schloß damals gerade ihr Studium am medizinischen Institut ab, und auch er hatte die Universität erst kurz zuvor verlassen. Sie fanden gemeinsamen Gesprächsstoff und stellten fest, daß sie einen ähnlichen Ge- schmack besaßen.
Olga wußte von Anfang an, mit wem sie das Schicksal hier zusammengeführt hatte, erwähnte aber mit keinem Wort, daß sie Kamows Tochter war. Sie wollte hören, wie Melnikow über ihren Vater sprach, auf den sie unsagbar stolz war. Sie über- zeugte sich sehr bald davon, daß Kamow in dem Herzen des jungen Mannes Alleinherrscher war.
Olga zögerte lange, ehe sie ihm ihren Familiennamen nannte. Als er ihn endlich erfuhr, war er betroffen von dem seltsamen Spiel des Schicksals, das ihn die Tochter jenes Mannes lieben ließ, den er im stillen seit langem Vater nannte.
Boris Melnikow stand nun in der Blüte seiner Jahre. Sein Weg war klar und bis zum Ende seines Lebens vorausbestimmt. Wo und wann dieses Ende eintreten würde, wußte er nicht, aber er war stets darauf gefaßt. Die Weite des Alls hatte ihm soviel ruhige Weisheit eingegeben, wie man sie auf der Erde nicht zu erlangen vermag. Er hatte vieles gesehen und vieles er- lebt, was andere nicht gesehen und erlebt hatten. Er hatte die Erde aus einer Entfernung von vielen Millionen Kilometern be- trachtet, und ihm war zutiefst bewußt geworden, wie verschwin- dend klein sie ist – etwas, was ein Mensch, der die Erde nie verlassen hat, schwerlich zu fassen vermag. Irdischer Ruhm er- schien ihm nichtig. Seine Weltauffassung war umfassender als die der anderen. Das war gut, aber es barg eine Gefahr in sich. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er überhaupt nicht mehr an die Erde und ihre Belange dachte. Er war der Ansicht, das wahre Leben und die wahren Interessen lägen einzig im Welten- raum.
Die Liebe zu Olga half ihm diese Denkweise, die ganz all- mählich entstanden war, wieder zu überwinden. Er fühlte sich aufs neue als ein Sohn der Erde und sah ein,
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