Das Erbe der Phaetonen
daß ihm sein An- sehen bei ihren Bewohnern nicht gleichgültig sein durfte. Erst jetzt konnte er zum echten Wissenschaftler werden.
Das irrige Gefühl, er sei von der Erde losgelöst, verschwand spurlos. Es blieb die durch eigene Erfahrung gefestigte, reale Erkenntnis, daß nicht nur das Weltall, sondern auch der Platz, den die Erde in seinen Weiten einnimmt, etwas Grandioses sind. Das war es gewesen, was ihm nottat. Der Sternfahrer braucht ein solches Bewußtsein. Es verleiht den richtigen Maß- stab und das Gefühl für die Perspektive der Arbeit.
Melnikows Freunde beruhigten sich, als sie sahen, daß er den richtigen Weg gefunden hatte. „Ihm hat die Familie gefehlt“, sagte Paitschadse. „Nun hat sich sein Leben geregelt. Jetzt hat alles seine Ordnung.“
Das stimmte. Melnikow hatte früh seine Eltern verloren. Seine Kindheit verbrachte er im Hause eines Onkels, eines kin- derlosen Witwers. Während seines Studiums am Literaturinsti- tut wohnte er im Studentenwohnheim. Im Grunde hatte er, be- vor er Olga heiratete, nie ein Zuhause und die Wärme, die es ausstrahlt, kennengelernt.
Die Uhr schlug und schreckte ihn aus seinen Erinnerungen. Es war zwölf. In einer halben Stunde wollte Olga kommen. Er hatte ihr seit langem versprochen, sie auf den Raketenflugplatz mitzunehmen und ihr das startbereite Raumschiff zu zeigen. Bis zum Start war es nicht mehr lange hin, jeder Tag war buchstäb- lich bis zur letzten Stunde eingeteilt. Die freie Zeit, die er jetzt gerade hatte, wollte er nutzen, um sein Versprechen zu erfüllen.
Melnikow kam nie zu spät und konnte es nicht leiden, wenn andere sich verspäteten. Für ihn stand fest, daß Olga pünktlich um halb eins sein Arbeitszimmer betreten würde. Sie hatte in den drei Jahren, die sie einander kannten, den Charakter ihres Mannes gründlich studiert.
Um sich bis zum Eintreffen seiner Frau mit etwas zu beschäf- tigen, nahm er ein dickes Heft aus dem Tischkasten und schlug dessen letzte Seite auf. Es war das Tagebuch, das ihn bei seinem ersten Raumflug, dem Flug zum Mars, begleitet hatte.
Da – er stieß auf die denkwürdige Eintragung vom 12. Februar des Jahres 19...
„10 Uhr Moskauer Zeit.
Endlich kann ich mit vollem Recht schreiben: ,Moskauer Zeit'!
Ich bin in Moskau!
Heute empfinde ich besonders tief das Glück, heimzukehren. Der gestrige Tag ist wie im Nebel vergangen, aber nie, werde ich auch nur eine Kleinigkeit vergessen!
Noch ganz unter dem frischen Eindruck will ich den letzten Tag unseres Raumfluges schildern. Es wird die letzte Eintragung in meinem Tagebuch sein. Viele Ereignisse habe ich darin ein- getragen. In Moskau, an Bord des Raumschiffes und auf dem Mars. Und nun beende ich es in meinem Zimmer, an demselben Schreibtisch, an dem ich es in jener denkwürdigen Nacht zum
2. Juli begonnen habe.
Vor meinen Augen zieht alles vorüber, was ich gesehen habe. Alle Erlebnisse kommen mir wieder in Erinnerung.
Der Start auf der Erde ...
Herrlich ist der Planet mit dem poetischen Namen Venus!“
Melnikow ließ das Heft in den Schoß sinken. Zum soundso- vielten Mal in diesen Jahren tauchte vor seinem geistigen Auge das Bild auf, das er acht Jahre zuvor gesehen hatte.
Bleierne Wasser des Ozeans mit blendend weißen Wellen- kämmen ... Zu Häupten bleierner Himmel... Schwarze Wände ungeheurer Wolkenbrüche ... Grelle Blitze durchzucken das trübe Halbdunkel... Endlose Fluren orangefarbener und roter Vegetation ... Undurchdringlicher jungfräulicher Wald eines jungen Planeten... Ein hoher Bergkamm, dessen Gipfel sich in dicht geballten Wolkenmassen verbergen . ..
Sie erblickten die Landschaft der Venus damals von oben. Bei einem kurzen Flug. Nun aber würden sie sie aus der Nähe kennenlernen, all den Gefahren und Tücken begegnen, die sich hinter der äußeren Schönheit des unerforschten Planeten ver- bergen mochten.
Aber es muß sein! Der Mensch muß alles wissen!
Melnikow blätterte einige Seiten weiter und las: „Wir bereiten uns auf künftige Raumfahrten vor. Viel werden wir unternehmen. Dutzende Flugbahnen werden die sowjeti- schen Raumfahrer durch den interplanetaren Raum ziehen. Sie werden alle Geheimnisse lüften, die die Natur eifersüchtig zu wahren trachtet. Der Forscherblick des Menschen wird in die entlegensten Bereiche des Alls, in die Sonnensysteme eindrin- gen ...“
So und nicht anders wird es kommen!
Der
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