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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Mädchen auf Italienisch und Deutsch verständigen konnten.
    »Aber für ihr Seelenheil ist es besser, sie lesen die Heilige Schrift als das Kriemhildlied!«, argumentierte Geneviève.
    »Geneviève, wenn sie Euer geliebtes Johannesevangelium im Original lesen sollen, müsst Ihr ihnen Aramäisch beibringen«, bemerkte Miriam, die keineswegs ihrer Meinung war. »Aber da Ihr es ihnen jeden Tag vorlest, können sie es ohnehin schon auswendig. Ein paar Abenteuergeschichten sind viel kurzweiliger – im Kriemhildlied warten Frauen nicht darauf, dass der Ritter den Drachen tötet, sie greifen selbst zum Schwert. Das ist doch sehr lehrreich, oder? Es erinnert mich an mein Katapult.«
    Miriam und Salomon vertrieben sich die Zeit in der engen Burg, indem sie ihr Versprechen wahr machten und Verteidigungsmaschinen ersannen. Zuerst einzeln und in Konkurrenz zueinander, dann gemeinsam, nachdem sie feststellten, dass ihre Streitgespräche über das richtige Verhältnis zwischen Höhe des Achslagers und Länge des Wurfarms einander befruchteten. Schließlich entschieden sie sich für eine Mangonel, eine Torsionswaffe, die ihre Schusskraft durch eine Verdrehung von Seilbündeln im Innern der Maschine bezog. Ihr Bau war komplizierter als die der üblichen Bliden, die schlicht nach dem Hebelarmprinzip funktionierten. Dafür war eine Mangonel aber nicht so groß und leichter zu bedienen. Salomon und Miriam konstruierten schließlich Modelle ihrer Waffen, die der Zeit seines Lebens verspielte Abram vergnügt mit den jüngeren Mädchen ausprobierte. Es war nicht ganz einfach, die Mangonel zu laden, aber sie hatten es schnell heraus.
    »Das ist fantastisch, Ariane hat einen Kieselstein sechs Ellen weit geschossen!«, erklärte Abram begeistert und erklärte das Mädchen zur Ersten Blidenmeisterin.
    »Die Weite macht’s aber nicht allein, man sollte auch zielen können«, meinte Salomon und vertiefte sich erneut in Berechnungen über lange und flache oder kurze und hohe Flugbahnen der Kugel und die Winkelung des Haltezapfens am Wurfarm.
    Abram setzte eher aufs Probieren und stellte bald fest, dass die perfekte Ausrichtung des Katapults nicht nur eine Frage der Berechnung, sondern auch des Gefühls war. Manche Schützen hatten mehr, andere weniger Talent – und ausgerechnet Geneviève, die als künftige Parfaite eigentlich zur Friedfertigkeit verpflichtet war, erwies sich als Naturbegabung.
    »Da kannst du rechnen, so viel zu willst, Mi … äh … Ayesha!« Es fiel Abram immer schwerer, an der Tarnung als Maure und Maurin festzuhalten. Miriam jedenfalls hatte ihre orientalische Tracht abgelegt, flocht keine arabischen Brocken mehr in ihre Rede ein und benahm sich ganz, wie sie ursprünglich gewesen war – eine jüdische Kaufmannstochter mit etwas außergewöhnlichen Interessen. »Du kommst nicht an die Trefferzahl der kleinen Parfaite heran.«
    Abram zeigte seiner Frau fasziniert das Burgmodell aus leichtem Holz, das er gebaut hatte, um die Zielübungen mit dem Miniaturkatapult interessanter zu gestalten.
    »Nenn sie nicht kleine Parfaite, das macht sie wütend«, gab Miriam zurück und studierte ihrerseits die ramponierte Burgfassade. »Sie könnte sich jetzt ja weihen lassen, aber sie meint, sie müsse noch Buße tun.«
    »Wie auch immer sie sich nennt, dieser belagerten Burg hier hat sie jedenfalls auf Anhieb vier von fünf Latrinen weggeschossen und zwei Erker. Sie soll das bloß lassen mit dem Consolamentum, wir brauchen sie womöglich als Kanonier.«
    Miriam lachte. »Aber vorher müssen wir noch einiges an der Mangonel ändern«, murmelte sie. »Diese Dinger wurden ja alle als Angriffswaffe konzipiert, wir brauchen sie jedoch zur Verteidigung. Sie muss also über unsere eigenen Mauern hinwegschießen oder von den Mauern herunter. Dafür sollte sie kleiner sein, leichter transportabel.«
    »Vielleicht auch einfacher zu bedienen«, meinte Abram und dachte an seine weiblichen Kanoniere.
    Im Gegensatz zu den Mädchen und ganz jungen Knappen interessierten die Ritter sich kaum für die Kampfmaschine. Die meisten von ihnen schienen sich auch gar nicht vorstellen zu können, dass dieses putzige Spielzeug nur ein Modell für eine sehr große, äußerst leistungsfähige Waffe sein sollte. Überhaupt zeigten sich die Ritter jeder Neuerung gegenüber unwillig. Salomon versuchte auch vergebens, sie zur Übung im Bogenschießen zu bewegen. Er selbst beherrschte die grundlegenden Techniken und konnte Langbögen ebenso entwerfen und von

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