Das Erbe der Pilgerin
Schreinern nachbauen lassen wie das viel kompliziertere Katapult. Er hätte die Kämpfer also einweisen können, und ein paar Naturtalente hätten sich dann schon gefunden, um die Sache weiterzuentwickeln. Aber die Ritter zierten sich. Sie mochten von ihrer traditionellen Kampfweise nicht abgehen.
Am ehesten fand sich noch Flambert de Montalban – getriezt von seiner Schwester und ermuntert von Sophia – bereit für Experimente. Um Sophia zu gefallen, hätte Flambert so ziemlich alles getan. Er hatte es aufgegeben, das Spiel mit dem Feuer zu scheuen, und umwarb das Mädchen nach allen Regeln der höfischen Minne. Sophia sperrte sich auch nicht mehr im gleichen Maße wie am Anfang. Flamberts Geduld zahlte sich aus, auf die Dauer konnte Sophia seiner Sanftmut und Freundlichkeit nicht widerstehen, zumal der Ritter gut aussah und die Laute zu spielen verstand wie kein anderer. Und er war da, während Dietmar von Lauenstein für Sophia langsam zu einem Ritter in einem Traum wurde. Ihre kurze Romanze in Mainz war nun fast drei Jahre her. Sie hatte seitdem nichts mehr von ihm gehört, und ihr Bild von ihm verblasste. Waren sie wirklich füreinander bestimmt? Würde sie überhaupt jemals nach Lauenstein zurückkehren?
Auch Sophias Erinnerungen an die Burg ihres Vaters schwanden mit der Zeit – was im Grunde nicht schlecht war, denn es befreite sie von ihrer Schüchternheit und Angst vor jeder Begegnung mit einem männlichen Wesen. Aber strebte sie wirklich noch zurück in dieses feuchte und oft kalte Land, wo sie hier doch die Sonne des Südens wärmte und Flamberts immer wieder beteuerte Liebe?
Der Wermutstropfen dabei war allerdings immer noch seine Religion und die Gefahr, in die sie ihn bringen konnte. Sophia war nicht zu überzeugen vom Glauben der Albigenser, vieles erschien ihr einfach unsinnig. Und genau das ließ sie an ihrer aufkeimenden Liebe zu Flambert zweifeln. Sie wäre vielleicht bereit gewesen, seinen Glauben anzunehmen um der Liebe willen, aber sie liebte ihn nicht genug, um für ihn zu sterben. Mit Dietmar war das, zumindest in Sophias Erinnerung, anders gewesen. Aber damals war sie auch noch sehr jung gewesen – und dem Tod niemals nah. Heute sah das anders aus. Ihre Flucht aus Toulouse war zwar nicht annähernd so dramatisch gewesen, wie sie hätte sein können. Aber die Ritter und Mädchen hatten doch Brände in der Stadt gesehen, als sie bei Nacht auf Montalban zuritten, und sie hatte nicht gewagt zu fragen, ob dort vielleicht Scheiterhaufen loderten. Sophia jedenfalls graute vor einem Tod in den Flammen oder auch nur unter den Schwertern der Kreuzritter. Wenn sie sich überhaupt irgendwann auf Flambert einlassen würde – dann lediglich, wenn er sie in Sicherheit brachte!
Vorerst ließ sie allerdings zu, dass er sie umgarnte, Lieder für sie schrieb und ihre Schönheit rühmte. Schließlich gab es auch nicht viel anderes zu tun in der überfüllten Festung. Sophia kümmerte sich um den Küchengarten, sie wies die jüngeren Mädchen in die Kunst ein, Kleider zuzuschneiden und zu nähen, und natürlich ging sie auch zur Messe. Zerstreuungen boten sich allerdings nicht in Montalban, und daran war nicht die Religion der Albigenser schuld. Mit der Reisefreiheit im Süden Frankreichs war auch der ständige Informationsfluss durch Troubadoure und Fahrende Ritter versiegt. Sophia hörte also nichts von Lauenstein, obwohl die Langmut des jungen Ritters, der endlos vor der Feste ausharrte, in der seine Liebste gefangen gehalten wurde, und die Mauern der Burg schonte, um das Mädchen ja nicht zu gefährden, längst Eingang in den Minnesang gefunden hatte.
Das Leben in der Feste blieb also ruhig – bis der Graf von Toulouse im Frühjahr 1216 in Marseille eintraf.
»Der Graf ist wieder da!« Sophia jubelte und wunderte sich nur ein wenig, dass Geneviève ihre Begeisterung nur verhalten teilte. Miriam hatte darauf geachtet, dass die Begebenheit mit Geneviève und dem Grafen sich nicht herumsprach. »Gegen den Willen des Papstes, Geneviève, das heißt, er nimmt jetzt ganz ausdrücklich eure Partei!«
»Er hat seine Meinung schon oft gewechselt«, bemerkte Geneviève.
Sie zog instinktiv ihren Schleier tief ins Gesicht, als von Raymond die Rede war. Kein Ausdruck sollte sie verraten.
»Aber jetzt kann er das nicht mehr, das wird der Papst ihm nie vergeben! Und die Leute freuen sich! Du musst diesen Troubadour hören, heute Abend in der Halle deines Vaters! Flambert hat ihn in Empfang genommen, und er
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