Das Erbe der Vryhh
»Nicht unbedingt, Tag. Die Techniker sind inzwischen daran gewöhnt, daß ich überall herumschnüffle, und der Ajin hält vermutlich mein Verhalten für weibliche Neugier. Es war also nicht der Rede wert. Mir drohte eigentlich nur die Gefahr, in die Falle selbst zu geraten, doch dieses Risiko hielt ich nicht für besonders groß. Entweder führt der Ajin den Aktivator ständig bei sich - vorausgesetzt, das Objekt ist klein genug -, oder das Gerät wurde in seinem Schlafzimmer installiert.« Sie beugte sich vor und deutete auf die vor Taggert liegende Folie. »Die maschinellen Anlagen der Falle hier.« Shadith lehnte sich wieder zurück. »Ich habe die Möglichkeit erwogen, Kreopin oder andere Sprengstoffe aus dem Arsenal zu holen, aber … Nun, ich schätze, das können wir vergessen, denn das Lager befindet sich auf der anderen Seite des Sees. Wie dem auch sei: Wir könnten die Apparaturen einfach in die Luft jagen, doch andererseits wissen wir nicht, was in einem solchen Fall mit Grey und Ticutt geschieht. Vielleicht sitzen sie dann für immer in der grauen Leere fest, und sie scheint mir nicht gerade ein sonderlich angenehmer Ort dafür zu sein, dort die nächste Ewigkeit zu verbringen.« Mit den Fingerspitzen klopfte sie auf den Tisch. »Das Problem, mit dem wir es heute nacht zu tun bekommen, besteht darin, zum Ajin vorzustoßen. Die Vorstellung, mich in jenes Schlafzimmer zu schleichen, bereitet mir ein gewisses Unbehagen.« Shadith schauderte und kratzte sich erst den Handrücken und dann am Hals. »Ich bekomme eine Gänsehaut dabei.«
Schweigend starrte sie auf die Skizzen, auf die Striche, die sie hier und dort mit knappen Kommentaren versehen hatte. Nach einigen Sekunden strich sich Taggert mit einer großen Hand über den kahlgeschorenen und glänzenden Schädel, schob den Stuhl zurück und ging ins Schlafzimmer. Shadith hörte, wie er dort herumkramte, vernahm leises Kratzen und Knirschen, ein mechanisches Ächzen, das sich einige Male wiederholte. Dann kehrte er mit zwei großen Kästen zurück. Er stellte sie auf den Tisch, entriegelte die auf seinen Daumenabdruck reagierenden Scannerschlösser und öffnete die Behälter. »Sieh dir das hier an.«
Shadith empfand es als große Erleichterung, einfach nur sie selbst sein zu können, ohne in starre Verhaltensmuster gepreßt zu werden, die allein von ihrem Geschlecht bestimmt wurden. Sie hätte Taggert vor Freude und Dankbarkeit umarmen können, als sie rasch an seine Seite trat und auf die Ausrüstungsgegenstände blickte, die in kleinen Gestellen in den beiden Kisten untergebracht waren: unterschiedliche Gewehre, einige Handfeuerwaffen, ein Dutzend kleine Granaten. Erst jetzt begriff Shadith im ganzen Ausmaß, wie konditionierend die Art und Weise gewesen war, in der der Ajin sie behandelt hatte. Abgesehen von den Fällen, in denen er ihr gegenüber besonders beleidigend auftrat, war sie so sehr an den in ihr rumorenden Zorn gewöhnt gewesen, daß die Wut einem leichten Fieber gleichkam. Und wie bei einem Fieber hatte sie sich mit diesem Zustand abzufinden versucht und ganz vergessen, wie es war, gesund zu sein. Bis Taggert kam und sie daran erinnerte, wie es war, als vernünftige und erfahrene Erwachsene behandelt zu werden.
Taggert holte einen Laser hervor, der einen besonders dicken Kolben aufwies. »Die ganze Tarnung war nur Zeitverschwendung.
Ich brauchte die Kisten nicht einmal zu öffnen.« Er demontierte die Waffe. Eine Kapsel. Mit Kunstfaserumhüllung. Er öffnete sie und legte die einzelnen Gegenstände auf den Tisch. »Hemmer. Schockgranaten. Betäubungsgas.« Taggert nahm eins der Gewehre zur Hand, klappte es auf und zeigte seiner Begleiterin zwei Stäbe, die etwa so lang waren wie sein Unterarm. »Ausfahrbare Krallen.
Dachte mir, sie könnten sich als nützlich erweisen. Das mit dem Schlafzimmer gefällt mir ebensowenig wie dir.« Er berührte einen der Stäbe am Ende. Innerhalb eines Sekundenbruchteils wuchs das Gebilde in die Länge und erreichte fast die gegenüberliegende Wand. Eine weitere Berührung, und es bildeten sich Klauen. Taggert ließ sie auf den Boden klacken und drehte den Stab: Innerhalb eines Augenblicks zog sich die Stange auf die ursprüngliche Länge zusammen. »Was hältst du davon? Wir bleiben in der Tür stehen, betreten das Zimmer überhaupt nicht, werfen eine der Sprengkapseln mit dem Betäubungsgas in den Raum, ziehen dem Ajin mit der Klaue die Decke vom Leib, sorgen mit einem Hemmer dafür, daß er nichts
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