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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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die Schultern. Kein allzu großes Problem. Sie war sich ständig des Operationsschnittes bewußt, aber er würde sie nicht belasten, wenn sie fliehen oder kämpfen mußte. Sie runzelte die Stirn und musterte Linfyar, der neben ihr schlief. Wir sollten eine Trennung vermeiden. Wenn wir die Flucht ergreifen müssen, darf keine Geisel zurückbleiben. Sie rüttelte ihn wach und flüsterte in seiner Muttersprache:
    »Steh auf und zieh dich an, Linfy. Wir machen einen nächtlichen Besuch.«
    Sie blickte kurz auf die dunkle Waldszenerie im Holofeld, schnaubte abfällig und glitt aus dem Bett. Sie hoffte, daß derjenige, dem die Aufgabe zukam, sie zu beobachten, sich inzwischen so sehr langweilte, daß er ihr keine Aufmerksamkeit mehr schenkte.
    Es war eigentlich kein sonderlich großes Risiko: Wenn nicht gerade der Ajin selbst zugegen war, legte niemand im Stützpunkt besonderen Wert auf Disziplin. Darüber hinaus hatte Shadith während ihres ganzen Aufenthalts in diesem Quartier niemals etwas anderes getan als gegessen und geschlafen, gelesen und auf der Harfe gespielt, um sich die Zeit zu vertreiben. Rasch kleidete sie sich in einen schwarzen Pullover und Weste und Hose in der gleichen Farbe - Sachen, die Aleytys ihr besorgt hatte -, überprüfte anschließend die Taschen der Weste. Einige dünne Bolzen und steife Drähte für mechanische Schließvorrichtungen, ausgehöhlte Münzen, die zusammenpaßten und mit denen sich elektronische Schlösser überlisten ließen, eine lange Plastikklinge, die scharf genug war, um einen Gedanken zu zerschneiden, eine Harfensaite mit hölzernen Griffen an beiden Enden. Shadith fand auch die kleine Dose mit der Salbe, die Perrak ihr zur Verfügung gestellt hatte, schob sie in die Tasche, die auch die Garrotte enthielt, sank auf die Knie und zog den Rucksack unterm Bett hervor. Bei den Verstärkungsstreben handelte es sich um zwar dünne, aber sehr stabile Metallröhren, deren Durchmesser etwa dem ihres kleinen Fingers entsprach. Eine davon wies am Ende ein Gewinde auf. Zwei andere stellten sich nach der Demontage als Druckluft-Zylinder heraus, die auf die erste Röhre geschraubt werden konnten und auf diese Weise ein einfaches, aber recht leistungsfähiges Luftgewehr bildeten. Die vierte enthielt einige kleine Pfeile, die aus einem kristallisiertem Anästhetikum bestanden, das sich im Körper auflöste und eine betäubende Wirkung entfaltete. Es wirkte recht langsam und brauchte etwa zehn bis fünfzehn Minuten, um einen Gegner außer Gefecht zu setzen. Doch es hinterließ keine Rückstände im Blut, und die langsame Wirkung bedeutete darüber hinaus, daß die Opfer den kleinen Stich nicht mit der später einsetzenden Müdigkeit in Verbindung brachten. Shadith schob sich die Röhren in die Westentaschen, die extra so beschaffen waren, um sie aufzunehmen, stand auf und blickte sich um. Wenn sie nicht auf der ganzen Linie Pech hatte, sah sie dieses Zimmer nun zum letztenmal. Sie bedauerte es sehr, die Harfe zurücklassen zu müssen, doch ein solches Musikinstrument ließ sich weitaus leichter ersetzen als ein Freund. Und sie war bereit, diesen Preis für ihr Überleben zu zahlen.
    Der Wächter am Eingang des Hauptgebäudes lehnte an der
    Wand und starrte aus trüben Augen ins Nichts. Shadith und Linfyar schlüpften in die dunkle Nacht hinaus, ohne die Aufmerksamkeit des Mannes zu erregen. An den Geröllhängen entlang schlichen sie in Richtung des abgelegenen Gästehauses.
    Der dort postierte Aufpasser war wachsamer. Wenn die Waffenschmuggler das Haus verließen, um dem Ajin irgendeinen üblen Streich zu spielen, so würde man ihn dafür zur Verantwortung ziehen, und das wußte er auch. Vor der Tür schritt er auf und ab, offenbarte dabei eine Entschlossenheit, angesichts der Shadith eine Grimasse schnitt. Sie beugte sich ganz nahe an Linfyar heran und hauchte ihm ins Ohr: »Warte hier. Ich glaube, die Zeit für einen Wachwechsel ist gekommen.« Sie drückte den Jungen zu Boden und preßte sich ebenfalls auf die Steine. »Bleib ganz flach liegen, bis ich zurückkehre. Könnte eine Weile dauern.« Sie nahm das Luftgewehr zur Hand, schob einen Pfeil hinein und kroch dann behutsam los, bis sie den Wächter ganz deutlich vor sich sah. Mit der Geduld einer Katze beobachtete sie ihn dabei, wie er auf und ab marschierte. Immer wieder, ohne ein einziges Mal zu verharren.
    Hat den Verstand eines Flohs: Wenn man ihm einen Auftrag gibt, führt er ihn so lange aus, bis man ihm sagt, er könne Schluß

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