Das Erbe des Bösen
.«
»Erik, du bist müde. Morgen ist ein neuer Tag. Dann sehen wir in Ruhe . . .«
»Hat Ingrid noch immer einen Plan? Himmel . . . ich kann sie gar nicht mehr Mutter nennen.«
Und schon riss Erik sich von Katja los, marschierte in den Flur und zog seine Jacke an.
»Wo willst du hin? Mitten in der Nacht?«
»Zu ihr.«
»Erik, du hast morgen genug Zeit . . .«
Aber Erik war bereits draußen im Regen. Er kümmerte sich nicht um die Tropfen, die ihm ins Gesicht schlugen, als er mit großen Schritten zu seinem Wagen ging. Ihn interessierte jetzt nur noch die Wahrheit.
|313| DRITTER TEIL
|315| 44
Ingrid war gerade dabei, sich einen Kräutertee zu kochen. Aus der Bibliothek wurden die Klänge von Beethovens siebter Sinfonie herübergetragen.
Auf einmal hämmerte jemand heftig an die Tür. Ingrid eilte zu dem Monitor, der sich in einer kleinen Wandvertiefung in der Eingangshalle befand, und sah Erik im Licht der Lampe über der Haustür. Sie erschrak unwillkürlich, versuchte aber sofort, ihre Angst beiseite zu schieben. Aber warum hatte Erik sie nicht angerufen und ihr gesagt, dass er aus Deutschland zurückgekommen war?
Das Klopfen wurde heftiger.
»Mutter«, klang es gedämpft durch die Tür. »Mach auf! Ich weiß, dass du da bist.«
Ingrid drückte den Rücken durch und öffnete die Tür. Vor ihr stand ein triefend nasser Erik – mit wirrem Haar, unrasiertem Kinn und dunklen Augenringen.
Im Schein der Lampe funkelte er sie an.
»Nun komm schon herein«, sagte Ingrid, bemüht um einen munteren Tonfall.
Erik trat in die Eingangshalle, und Ingrid schloss die Tür hinter ihm.
»Gib mir deine Jacke, ich hänge sie zum Trocknen auf . . .«
»Lass die Jacke«, erwiderte Erik kalt.
Es fiel Ingrid schwer, ihrem Sohn in die Augen zu schauen. Die Zeit schien stillzustehen, und aus der Bibliothek tönte Beethovens Siebte.
»Du wirst mir jetzt alles erzählen«, sagte Erik.
|316| »Setzen wir uns.«
»Nein. Wir reden hier.«
»Mein lieber Sohn, wir werden gewiss nicht hier in der Halle stehen bleiben«, sagte Ingrid entschieden und ging in die Bibliothek.
Erik folgte ihr, er war völlig durchnässt. »Es hat keinen Sinn, dass du irgendetwas abstreitest. Dazu weiß ich schon zu viel. Aber jetzt will ich auch noch den Rest hören. Über dich und über Vater.« Ingrid seufzte und setzte sich an den Tisch. »Möchtest du einen Tee, ich habe gerade welchen gekocht . . .«
»Nein! Wir trinken jetzt keinen Tee, verdammt noch mal, jetzt reden wir!«, schrie Erik sie an.
»Wie du meinst. Aber ich sage es dir gleich: Es gibt Dinge, über die ich schweigen werde. Du kennst das sicherlich von dir selbst. Wenn man weiß, dass die anderen nicht die geringste Voraussetzung besitzen, eine Situation zu verstehen, in der man gezwungen war, Entscheidungen zu treffen und zu handeln . . .«
»Ich will keine Rechtfertigungen hören, ich will hören, was du
getan
hast. Ich weiß, dass du an den Rassenhygieneforschungen der Nazis beteiligt warst.«
Zu ihrer Überraschung hörte Ingrid aus Eriks Stimme eher Scham als Aggression heraus. Das beruhigte sie ein wenig.
»Ja, ich war mit Untersuchungen im Rahmen der rassenhygienischen Forschung befasst. Aber damit haben nicht die Nazis angefangen. Du weißt selbst, dass in Amerika damit begonnen wurde. Cold Spring Harbor ist ein Ort, den du kennst, Erik. Das ist die Wiege der Rassenhygiene. Du solltest der Tatsache ins Auge sehen, dass du selbst im Bereich der Eugenik tätig gewesen bist . . .«
»Hör auf, die Dinge zu verdrehen!«, rief Erik außer sich vor Wut.
»Willst du die Wahrheit doch nicht hören?«
Erik verstummte wütend.
»Es ist auch kein Zufall, dass mit der Kartierung des menschlichen Genoms ausgerechnet in Cold Spring Harbor begonnen wurde. Du warst in ein Projekt involviert, von dem du immer geträumt |317| hattest. Wie neidisch war ich auf mein eigenes Kind, und wie glücklich zugleich, weil alles so schnell voran ging . . . Ihr hattet für die Genomkartierung Computer, aber wir in Dahlem gaben die Farbcodes von Haaren und Augen in Hollerith-Lochkartenapparate von IBM ein!«
»Was redest du da«, sagte Erik verächtlich. »Du kannst unsere Projekte doch nicht mit euren bestialischen Menschenversuchen und dem Töten von Menschen im Namen der Rassenveredelung vergleichen!«
»Hör doch auf zu heucheln, Erik«, gab Ingrid zurück, stand auf und ging zum Bücherregal. »Mach dir nichts vor, indem du Begriffe austauschst. Zu den Chefplanern des T
Weitere Kostenlose Bücher