Das Erbe des Bösen
Rauschmitteln. Jeder aktiv tätige Inder oder Chinese oder Angehörige einer sonstigen Rasse ist für die Evolution der Menschheit tausend Mal wertvoller.«
»Die Evolution der Menschheit . . . sag mal, in welchen Sphären schwebst du eigentlich? Verstehst du überhaupt, dass deine barmherzigen Gedanken über die Gleichwertigkeit der Rassen für
normale
Menschen das Natürlichste auf der Welt sind?«
»Spotte nur. Aber du bist unter den Menschen auf der Welt einer von denen, die intelligent genug sind, um zu verstehen, was ich meine. Wenn du nur wolltest. Die Welt wird heute mit so ungeheurer Dummheit regiert, dass die Dominanz dieser Dummheit sich nicht einmal ganz erfüllen kann, denn zuvor wird die Menschheit ihre physischen Lebensvoraussetzungen auf diesem Planeten zerstört haben.«
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Erik kam sich langsam etwas hysterisch vor. Man bekam diese Frau einfach nicht zu fassen. War sie verrückt? Oder noch schlimmer: War er selbst verrückt? Plötzlich musste er einen völlig unangemessenen Lachanfall unterdrücken – tatsächlich hatte sich seine Mutter auf ihre alten Tage in politischer Hinsicht einmal als »radikalrationalistische Grüne« bezeichnet.
»Die Evolution vollzieht sich so langsam, die Umweltzerstörung aber so schnell«, redete sie weiter wie eine programmierte Maschine. »Ich würde die Erde lieber so regiert sehen, dass dieser Planet der Menschheit genügt. Dass man nicht von Kolonien außerhalb des Globus träumen müsste. Aber wir stehen doch kurz vor der totalen Gleichberechtigung: Jede chinesische, indische und afrikanische Familie hat schon bald ein Auto, einen Eisschrank, einen Herd, eine Mikrowelle und einen Geschirrspüler . . . Und natürlich nicht nur in einmaliger Ausfertigung, sondern immer wieder neu und immer besser. Diese Welt hätte von verantwortungsbewussten Kräften kontrolliert werden sollen, von Kräften, die sich an Wissenschaft und Rationalismus orientieren und nicht an Religionen und Überzeugungen, deren oberste Ziele nicht kurzfristige oder kurzsichtige Gewinnmaximierung und Geldgier sind. Hier hätte man auf möglichst humane Weise, zum Beispiel durch ein flächendeckendes Sterilisationsprojekt das Bevölkerungswachstum im Zaum halten und gleichzeitig effektiv verhindern können, dass einem das Treibhausklima außer Kontrolle gerät. Nicht so wie jetzt, da die Kernenergie erfunden worden ist und die Menschheit kurzsichtig und verantwortungslos noch immer Kohle verbrennt . . . Olivia und |323| Emil werden unweigerlich schreckliche Dinge geschehen sehen. Du wirst rechtzeitig davor sterben . . .«
Genau. Den ganzen Winter über hatte seine Mutter darüber lamentiert, dass die Temperaturen in Nuuk, der Hauptstadt Grönlands, sogar im Januar, Februar auf über null Grad gesprungen waren. Grönland schmolz ununterbrochen. Die Mutter hatte Erik und Katja sogar gezwungen, sich Al Gores ›Eine unbequeme Wahrheit‹ anzuschauen und sich dafür als Babysitter angeboten.
»Du versuchst wieder einmal, mich zu manipulieren«, sagte Erik tonlos. In ihm kämpften widerstreitende Gefühle um die Gesprächshoheit. Er versuchte sich zu beherrschen. »Mein ganzes Leben lang hast du mich manipuliert, ich habe es nicht begriffen. Jetzt reden wir aber nicht über die Zerstörung der Umwelt, sondern über die Vernichtung von Menschen. Wir reden über das Institut für Eugenik, wir reden über Auschwitz . . .«
»Besserwisserei im Nachhinein hilft hier nicht, auch wenn es noch so verlockend ist.«
»Hier geht es nicht um ›Besserwisserei‹! Du hast dich Grausamkeiten schuldig gemacht, die man mit gesundem Menschenverstand nicht begreifen kann.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, unterbrach ihn seine Mutter ruhig. »Ich habe mich nie irgendwelcher Grausamkeiten schuldig gemacht. Im Gegenteil. Ich habe meine Arbeit immer auf das Wohl der Menschen ausgerichtet.«
Erik starrte sie ungläubig an und sagte leise: »Du streitest also nach wie vor ab . . . Kannst du nicht mal mir gegenüber die Wahrheit eingestehen?«
»Welche Wahrheit denn? Was willst du eigentlich von mir hören?«
»Dass du Eugenikerin in Nazideutschland warst. Dass ihr zu Forschungszwecken Zwillingsaugen verwendet habt, die euch Josef Mengele zur Verfügung gestellt hat. Willst du deine Verantwortung für all diese grausamen Dinge leugnen?«
»Meine Verantwortung wofür? Was habe ich denn getan? |324| Oder: was hätte ich denn tun können? Als junge Assistentin? Ich wollte forschen . . . Zum Wohl der
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