Das Erbe des Greifen
Möglichkeit dazu!«
»Doch«, widersprach Knorre. »Nur wird sie Euch wohl kaum gefallen!«
»Also haben sie überlebt!«, rief Saana erfreut. »Das haben sie«, sagte der alte Mann mit einem Lächeln und hob sie kurz hoch, um sie an sich zu drücken, bevor er sie an ihre Mutter weitergab, die sie zu einem Tisch an der Seite führte. Saana wäre wohl lieber noch bei ihrem Großvater geblieben, doch ihre Mutter hatte wohl befunden, dass es genug für heute war.
»Sie waren nicht die Einzigen gewesen, die überlebt haben, nicht wahr?«, wollte Lamar wissen. »Habt Ihr nicht auch erwähnt, dass Graf Lindor mit seinem Drachen auf und davon geflogen ist? Wie ist es ihm ergangen?«
»Nun, auch wenn der Drache sich noch nicht ganz von dem Pfeil erholt hatte, den ihm Garrets Großvater ins Auge geschossen hatte, so sind Drachen doch recht zähe Biester. Und was den Grafen betrifft, wusste der natürlich ganz genau, dass der Kanzler von Thyrmantor wenig erfreut sein würde, wenn er von den Folgen des Dammbruches erfahren würde. Dennoch zögerte er nicht, zu ihm zurückzufliegen, um ihm Bericht zu erstatten. Doch Lindors Gedanken weilten während des langen Fluges nicht so sehr bei Belior als vielmehr bei seinem Prinzen, für den der Kanzler vorläufig die Regentschaft übernommen hatte. Als Lindor schließlich in der Kronstadt landete, erwartete ihn bereits die Order, sofort beim Kanzler vorstellig zu werden.«
»Der wusste also schon von den Ereignissen?«, fragte Lamar überrascht.
»Ja«, antwortete der alte Mann knapp. »Belior wusste vieles, was er eigentlich nicht hätte wissen dürfen. Aber auch dazu später mehr. Aber vorerst kehrte Graf Lindor, der der Vernichtung seiner Regimenter nur knapp entronnen war, zu einem Mann zurück, der dafür bekannt war, seine Leute schon wegen geringfügigerer Verfehlungen hingerichtet zu haben.«
»Ich mag den Grafen zwar nicht, aber er war wohl ein tapferer Mann«, merkte Lamar nachdenklich an.
»Bildet Euch ein eigenes Urteil, Ser«, sagte der alte Mann etwas kühler als erwartet. »Was ich nun erzähle, erfuhren wir erst viel später. Ob es sich jedoch wirklich so zugetragen hat, vermag ich Euch nicht sagen.« Der Erzähler zuckte mit den Schultern. »Doch hört einfach zu …«
Ein neuer Befehl
Belior, der Kanzler des mächtigsten Reiches der Welt, stand am Fenster seines Arbeitszimmers und sah in den Rosengarten hinab, den die Großmutter des Prinzen vor vielen Jahren hatte anlegen lassen. Hinter ihm, auf eines seiner gepanzerten Knie herabgelassen, den Kopf tief gebeugt, erstattete Graf Lindor Bericht über die letzten Ereignisse in Alt Lytar. Wie üblich war der Kanzler ganz in Schwarz gekleidet. Er trug eine schmucklose Hose sowie Stiefel und Wams. Sein ebenfalls schwarzes, volles Haar war akkurat auf Schulterlänge getrimmt, und das einzige sichtbare Zeichen seiner Macht war die schwere goldene Kette, das Symbol seines Amtes als Kanzler von Thyrmantor, die um seinen Hals lag und schwer auf seiner Brust ruhte.
Ohne auch nur die geringste Regung zu zeigen oder ein Wort zu sagen, hörte der Regent zu, wie der Graf die mächtige Flutwelle beschrieb, die seine Truppen ins Meer gespült hatte.
Am Ende seines Berichts angekommen, schwieg der Graf und harrte der Dinge, die nun kommen würden. Langsam drehte sich Belior um und sah auf den knienden Grafen herab.
»Ihr habt mich erneut bitter enttäuscht«, sagte er in einem kalten Tonfall. »Ich hielt mehr von Euch. Doch wie es scheint, seid Ihr mir und Eurem Prinzen bei Weitem nicht von dem Nutzen, den man mir weismachen wollte … Ihr wisst, was mit jenen geschieht, die mir nicht von Nutzen sind?«
»Ja, Ser«, antwortete Lindor, der damit beschäftigt war, seine Überraschung zu verbergen. Der Graf hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser kühlen Reaktion. Dennoch zweifelte er nicht daran, dass sein Leben nun verwirkt war; er hatte bereits auf dem Weg hierher damit abgeschlossen. Jetzt hoffte er nur noch, dass die Götter sich seiner erbarmen würden.
Eine Weile schwieg der junge Mann am Fenster.
»Graf Lindor, was soll ich nur mit Euch machen«, begann er dann wieder in einem bedauernden Tonfall. »Ihr und Euer Drache habt mir weitaus mehr Sorgen bereitet, als ich je für möglich hielt. Als ich von den Vorfällen hörte, wünschte ich mir nichts mehr, als Euren Kopf auf einem Spieß stecken zu sehen. Denn wie könnte ich Unfähigkeit dulden, wo es um nichts Geringeres geht, als um das
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