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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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zu herrschen scheine; ein Bauplan, nach dem Mensch und Tier gleichermaßen erschaffen waren.
    Nun wurden auch die anderen Gäste der Wirtsstube auf Goethes Referat aufmerksam, und als Antwort auf die neugierigen Blicke wiederholte der Geheimrat, was er vorher Schiller veranschaulicht hatte, sosehr ihn auch Letzterer daran zu hindern suchte – als ahne er bereits, in welcher Katastrophe die anatomische Vorlesung enden würde. Denn die Oßmannstedter hörten Goethe anfangs aufmerksam zu, schienen aber am Ende gar nicht damit einverstanden, so mit allen anderen Kreaturen Gottes großer Schöpfung in einen Topf geworfen zu werden. Als sie gar hörten, dass Goethe seine lästerlichen Erkenntnis se im Leichenturm zu Jena zutage gefördert hatte, wurde ihr Protest laut. Nicht einmal jetzt wollte Goethe auf seinen Freund hören, der ihm riet, den Vortrag abzubrechen. Er wurde vielmehr seinerseits lauter, um die Kritiker zu übertönen. Als er schließlich entnervt in den Gaumen der einzigen anwesenden Frau griff, um das Zwischenkieferbein am lebendigen Objekt nachzuweisen, und sie erschrocken aufschrie, so gut es mit der Hand des Geheimen Rats im Mund eben ging, hatte einer der Bauern kurzerhand die ungeöffnete Weinflasche über Goethes Schädel zerschmettert – und nur der Ilm war es zu verdanken, dass die Weimarer Oßmannstedt mit heiler Haut wieder verlassen konnten.

    »Eines muss man Ihnen lassen: Mit Ihnen wird es einem nie langweilig«, sagte Schiller, als sie spät in der Nacht auf der Esplanade voneinander Abschied nahmen. Sie hatten den Weg zurück von Oßmannstedt im strammen Marsch bestritten, sodass ihnen trotz der fehlenden Mäntel warm geworden war. Schiller nieste. »Obwohl mir dieser Ausflug zweifelsohne noch ein kaltes Fieber bescheren wird.«
    »Langeweile ist ärger als ein kaltes Fieber.«
    Schiller lächelte. »Ganz recht: Man muss im Leben wählen zwischen Langeweile und Leiden. Aber das nächste Mal, wenn Sie ins Umland wollen, um dem Pöbel zu erklären, dass der Mensch bloß ein Tier ohne Fell ist, fragen Sie doch bitte Knebel statt meiner, ob er Sie begleitet. Oder vielmehr beschützt.«
    »Sehen wir uns morgen?«
    »So Gott will«, erwiderte Schiller, den Fuß schon zum Gehen gewandt. »Gute Nacht! Oder ich sagte besser: Gu ten Morgen.«

2
    WEIMAR

    Am Vormittag des 19. Februar 1805 wurde Goethe durch ein Rütteln und Schütteln und laute Rufe unsanft aus dem Schlaf gerissen. Trunken von den Oßmannstedter Weinen und erschöpft von der Wanderung zurück, war er erst wenige Stunden zuvor bäuchlings ins Bett gefallen, ohne sich seines Gehrocks zu entledigen. Selbst die Stiefel trug er noch.
    »Gute Güte, Weib! Brennt es?«
    »Nein.«
    »Also! Warum dann, rasende Megäre, dies Zetergeschrei?«
    »Der Herzog schickt nach Ihnen«, erklärte Christiane. »Er lässt ausrichten, es sei dringlich.«
    »Dann lass ihm ausrichten, ich komme gegen Abend«, sprach Goethe mit belegter Stimme. Er setzte beide Füße auf den Boden, beide Ellenbogen auf die Knie und stützte den Kopf in beide Hände. »Herrgott, ich habe vielleicht einen Elefantenschädel.«
    »Reißen Sie sich zusammen. Geheimrat Voigt war hier. Er sagt, die Sache dulde keinen Aufschub.«
    »Voigt?« Goethe knurrte. »Habe ich nicht einmal Zeit für meine Toilette?«
    »Nein. Hoch mit Ihnen, alter Mann, wenn Sie nicht wünschen, dass ich Sie mit einer Handvoll Schnee von der Fensterbank vollends aufwecke. Ich bringe Ihnen einen Gehrock, der nicht nach Wein stinkt, und eine Perücke, die Ihr Andenken an die letzte Nacht überdeckt. Ich möchte im Übrigen nicht wissen, was Sie getrieben haben. Vermutlich wissen Sie es selbst nicht mehr.«
    »Wen Gott hasst, dem gibt er so eine Frau«, murmelte Goethe und griff sich an den Hinterkopf. Dort, wo ihn in der Nacht die Flasche getroffen hatte, hatte sich eine unappetitliche Kruste aus trockenem Blut und Wein gebildet. Im Spiegel sah er, dass sich zudem sein linkes Auge unter den Faustschlägen schwarz gefärbt hatte und angeschwollen war. Rote Flecken waren auf seinen Wangen verteilt, und ein Mundwinkel war eingerissen. Während Christiane seine Sachen holte, wusch er sich eilig das Gesicht. Beim Abtrocknen fand er eine weitere Glasscherbe im Nacken, die er in die Waschschüssel warf. Dann rückte Christiane die Perücke auf seinem Kopf zurecht, derweil er einen großen Becher lauwarmen Kaffees hinunterstürzte. In der Tür drückte sie ihm eine Semmel in die Hand und einen Kuss auf den Mund, und

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