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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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erneut am Hosenbein säuberte und ihm reichte.
    »Und Ihre Steine?«, fragte Schiller beim Händedruck.
    »Meine Fossilien werden getrost eine weitere Woche warten können, nachdem sie zirka einhunderttausend Jah re auf mich gewartet haben.«
    Goethe wies auf die Geheimhaltung und die Eile ihres Projekts hin, und Humboldt versicherte, binnen einer Stunde reisefertig zu sein, denn er sei es gewohnt, schnell und mit leichtem Gepäck zu reisen. Während er seine Funde sortierte, verließen die anderen die Höhle. Draußen war es inzwischen ebenso dunkel, und nur dank Goethes Lampe fanden sie sicheren Trittes zurück in die Stadt. Am Frauenplan trennten sich die beiden.
    In der Küche des Goethehauses warteten Christiane, August und Geheimrat Voigt beinahe schweigend auf des Dichters Rückkehr. Christiane hatte Voigt einen Tee serviert, und mit ihren Tassen gingen die beiden Räte hinauf ins Urbinozimmer. Dort entnahm Voigt einem ledernen Portefeuille deutsche und französische Wechsel und Münzen im Wert von zweitausend Reichstalern, je ein Dritteil zusammengelegt von Frau Bottas Emigrés und den Regierungen Sachsen-Weimar-Eisenachs und Großbritanniens; dazu hinlängliche Passierscheine aus der Kanzlei des Herzogs für freies Geleit im Reich; ferner eine Karte von Rheinhessen und eine von Mainz und schließlich die handgefertigte Kopie einer Skizze des Deutschhauses in Mainz, Sitz der französischen Präfektur und damit Ort des Tribunals über Louis-Charles de Bourbon. Voigt wies auf ein Porträt des Herzogs, das im Zimmer hing, und richtete abermals dessen Wünsche für ein gutes Gelingen der Mission aus und die eindringliche Bitte, Goethe möge sich bei den Tollhäuslern von Mainz auf keinen Fall in Lebensgefahr begeben. Alle weiteren Fragen würde Sir William beantworten können, der ihn mit seinen Männern bis Eisenach begleiten sollte.
    Als Voigt fort war, widmete sich Goethe wieder seiner Ausrüstung. Christiane kam herauf, die Hände in der Schürze vergraben, und als sie die Banknoten sah, brach sie in Tränen aus, denn das Geld jetzt und Voigts höfliches Schweigen soeben waren ihr Indiz genug, dass ihr Wolfgang eine Reise antrat, die vielleicht seine letzte sein konnte. Er nahm sie in den Arm, drückte sie und trocknete ihre Tränen mit dem Ärmel seines Gehrocks. Er versprach, gut auf sich achtzugeben und nicht in Frankreich oder sonst wo in der Ferne, sondern einzig in seinem heimischen Lehnsessel zu sterben. Nach einem zärtlichen Kuss ging Christiane, ihm einen Reiseproviant zuzubereiten. Goethe schloss seinen Ranzen, schnürte eine schwere Decke darüber und verstaute seine Pistolen im Futteral. Die Zeit reichte noch aus, ein heißes Bad zu nehmen, das ihm sein Diener Carl bereitete und dessen Wirkung und Wohltat, so mutmaßte Goethe, für etwelche entbehrungsreiche Tage vorhalten musste.

    Humboldt wartete bereits in der Tür des Goethehauses, zu seinen Füßen ein Tornister, als Goethe Schlag acht vors Haus trat. Es hatte zu schneien begonnen, und der Frauenplan lag dunkel und verlassen vor ihnen. Schiller stieß wenig später hinzu, einen langen Knotenstock in der Hand. Auch er trug einen Ranzen, an den er eine Armbrust gegurtet hatte. »Sie sind verwundert ob des seltsamen Gerätes auf meinem Rücken?«, fragte Schiller. »Nun, ich bin ein Meister auf der Armbrust. Diese stille Waffe ist der schnödelärmenden Pistole allezeit vorzuziehen. Ich nehme es auf mit jedem Schützen!«
    Schiller war rasch gelaufen und nahm einen so tiefen Atemzug der kalten Luft, dass er hernach heftig husten musste. Goethe erkundigte sich, ob des Freundes angeschlagene Gesundheit überhaupt zulasse, die zu erwartenden Strapazen auf sich zu nehmen, worauf jener, nachdem er mit einem Schnupftuch die Mundwinkel getrocknet hatte, lächelnd erwiderte: »Diese Frage muss ich mir nicht von einem Mann stellen lassen, der zehn Jahre älter ist als ich.«
    Humboldt wies die beiden auf eine vermummte Gestalt hin, die sich ihrer Gruppe von der Brauhausgasse her näherte. Goethe sah, dass es nicht der Brite war, und vermutete bereits einen Bonapartisten – da erkannte er den dichtenden preußischen Leutnant, der ihn am Mittag angesprochen hatte. Der Mann sah so durchfroren aus, als hätte er seitdem nicht einmal seine Finger am Kamin wärmen können. Er wünschte den beiden anderen, ohne sie hinter ihren schweren Schals zu erkennen, einen guten Abend und fragte Goethe, ob dieser inzwischen sein Lustspiel gelesen habe.
    »Beileibe

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