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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Stirn in Falten. »In die Unterwelt? Wer ist es? Der Mephistopheles?«
    Goethe lachte. »Nein. Alexander von Humboldt.«
    »Oh.«
    »Enttäuscht?«
    »Von den Brüdern Humboldt ist mir Wilhelm, der Ältere, immer der liebere gewesen. Alexander imponiert sehr vielen und gewinnt im Vergleich mit seinem Bruder meistens nur, weil er ein Maul hat und sich geltend machen kann. Mir ist er suspekt.«
    »Ich halte große Stücke auf Alexander. Ich verdanke ihm viel: Meine naturhistorischen Arbeiten sind durch seine Gegenwart wieder aus ihrem Winterschlafe geweckt worden. Ohne seine Ermutigung hätte ich das Studium der Osteologie nicht wiederaufgenommen und das Zwischenkieferbein nie entdeckt.«
    Schiller fuhr mit zwei Fingern über den blutigen Riss in seiner Oberlippe. »Nach gestern Nacht bin ich versucht zu sagen: Es wäre besser unentdeckt geblieben. – Ist Humboldt nicht selbst ein halber Franzos? Lebt er nicht viel lieber in Paris denn in seinem heimatlichen Berlin?«
    »Er liebt die Franken, aber er hasst Napoleon! Besser könnten wir es gar nicht treffen. Wir haben großes Glück, dass er zurzeit in Weimar forscht. Mein Ehrenwort, dass er sich als nützlich erweisen wird.«
    Schiller winkte ab. »Das letzte Mal, als Sie mir Ihr Ehrenwort gaben, bin ich ins Eis eingebrochen.«

    Sie liefen durch die Seifengasse und die Gärten zum Park und ein paar Treppen den Abhang zur Ilm hinab. Dort, wo der Hang dem Flussufer am nächsten kam, war ein Tor in den Fels gehauen, von einer Holztür mit schwarzen Eisenbeschlägen bedeckt. Darüber spannte sich ein Bogen aus Steinen, von dem die Eiszapfen hingen. Sie öffneten die Tür und folgten dem Schacht, der von hier durch den Kalkstein südwärts getrieben war. Je tiefer sie kamen, desto wärmer wurde es. Ein schmaler, von Steinplatten bedeckter Kanal war links in den Boden gehauen.
    Nach einem kurzen Fußmarsch erreichten sie eine künstliche Höhle, in der im Schein mehrerer Lampen Alexander von Humboldt arbeitete, einen Hammer in der einen und eine grobe Bürste in der anderen Hand. Auf dem sandigen Boden zu seinen Füßen lagen ein Notizbuch und Gesteinsbrocken unterschiedlicher Größe. Auf einigen davon konnte man das Geflecht vorzeitlicher Pflanzen erkennen, andere stellten sich beim zweiten Blick als Knochen und Tierzähne heraus. Mantel und Jacke hatte Humboldt abgelegt, und der Tuffstein hatte sein Hemd und sein Halstuch braun eingefärbt. Auch sein Antlitz war schmutzig, und in die zerzausten Haare war ihm Kalkstein von der Decke gerieselt – doch selbst das konnte sein blendendes Erscheinungsbild nicht trüben. Seine Konturen, sein klarer Blick, der bronzene Glanz seiner tropengebräunten Haut – um so schöner im Vergleich zur Bibliothekarsblässe der beiden Dichter –: So stellte sich Goethe den jungen Faust vor, und wäre Humboldt Schauspieler, nicht Wissenschaftler, Schiller hätte ihn zweifelsohne als den Karl Moor besetzt.
    Humboldt traf schier der Schlag, die beiden Weimarer Geistesgrößen vor sich in der Höhle zu sehen. Wiederholt wischte er seine staubige Hand an den Hosenbeinen ab, bevor er sie ihnen reichte. Um den Preußen nicht sofort mit ihrem unerhörten Anliegen zu überfallen, erkundigte sich Goethe erst nach dessen Forschungen – worauf Ersterer allerdings eine so umfassende Beschreibung der hiesigen Geologie und der fossilen Funde begann, dass Goethe ihn schließlich unterbrechen musste. Die Hände in die Hüften gestützt, lauschte nun Humboldt seinerseits den Ausführungen des Dichters den Dauphin betreffend. Dabei erwähnte Goethe freilich nur die Errettung, nicht aber die beabsichtigte Restauration Ludwigs XVII. und ebenso nannte er bis auf des Herzogs Namen keinen anderen. Während des Vortrags musterte Schiller Humboldt aus dem Winkel seiner Augen.
    Goethe schloss mit der Bitte, Humboldt möge sich ihnen anschließen, worauf jener antwortete: »Ich habe mich bislang immer aus der Politik herausgehalten, denn sie ist eine der wenigen Wissenschaften, die mich nie interessiert haben – und ich meine, dass mir die Politik immer nur geschadet, nie aber genützt habe. Dennoch: Wenn mich die beiden Dioskuren von Weimar um meine Hilfe bitten, wäre ich ein Narr, nicht zu helfen. Ihnen, meine Herren, einen Wunsch abzuschlagen hieße Halbgöttern einen Wunsch abzuschlagen. Zählen Sie auf mich, ich begleite Sie mit Freuden, wohin immer Sie wollen, und sei es direkt in den Louvre.«
    Erfreut bot Goethe seine Hand an, worauf Humboldt die seinige

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