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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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nicht«, antwortete der und erinnerte sich erst jetzt daran, dass er die Abschrift im Audienzsaal des Schlosses vergessen hatte. »Denn von allen Tagen, die Sie hätten auswählen können, haben Sie mich heute denkbar geschäftig angetroffen. Es tut mir leid, aber ich muss Sie vorerst vertrösten. Gute Nacht.«
    »Wann werden Sie es lesen?«
    »Sobald ich die Zeit dazu finde, aber das wird noch ein Weilchen hin sein. Gute Nacht.«
    Der Leutnant warf einen Blick auf das Gepäck der drei. »Sie verreisen? Wohin?«
    »Mit Verlaub, mein junger Freund, das darf ich Ihnen leider Gottes nicht anvertrauen. Nun gute Nacht.«
    Aber der junge Mann ließ sich nicht vertreiben. Er starrte lange auf Goethes Ranzen, und als er wieder aufsah, hatten sich seine Wangen gerötet, und sein Ton war harsch. »Wieland sagt, ich werde die große Lücke in der dramatischen Literatur ausfüllen, die nicht einmal Sie und Herr von Schiller haben ausfüllen können. Ich werde Sie dereinst übertreffen, sei es mit oder ohne Ihre Unterstützung.«
    Goethe wechselte einen amüsierten Blick mit Schiller. »So, sagt Wieland das? Nun, ich werde mich bei der Lek türe Ihres Stückes hoffentlich davon überzeugen können.«
    »Nein. So lange warte ich nicht. Ich habe Ihr Urteil nicht nötig. Geben Sie mir das Werk zurück.«
    »Ah«, sagte Goethe und räusperte sich. »Ich bitte um Verzeihung, aber ich habe es nicht bei mir. Es liegt derzeit im Schloss.«
    »Was Henker! Ich hatte Sie doch ausdrücklich angewiesen, es nicht aus der Hand zu geben!«
    »So beruhigen Sie sich. Es ist dort so sicher wie der Stern am Himmel und wird gewiss nicht abhanden kommen.«
    Der Leutnant betrachtete Goethe mit schwerem Blick.
    »Gut – – Sie missachten mich. Sie missachten mich, weil Sie mich nicht kennen, und dafür hasse ich Sie. Le ben Sie also wohl. Ich wünsche, dass Ihnen die Achse unter dem Hintern wegbricht und Sie nimmer von Ihrer Reise heimkehren mögen!«
    Auf dem Absatz machte er kehrt, bevor Goethe etwas auf diese hitzige Rede erwidern konnte. Die drei Männer sahen ihm nach, wie er wutentbrannten Schrittes den Frauenplan überquerte und im Schneetreiben entschwand. Humboldt war der Letzte, der seinen Blick von ihrem nächtlichen Besuch löste.
    »Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort«, meinte Schiller.
    »In der Tat. Eben noch verehrt, jetzt schon ver wünscht.« Goethe schüttelte den Kopf. »Dass doch die Jugend im mer zwischen den Extremen schwankt!«
    »Ein zuckersüßes Bürschchen, in der Tat. Wer war die Kanaille?«
    »Ein Leutnant aus Preußen, der nun Poetaster ward. Und bis vor einer Minute noch ein glühender Bewunderer meiner Kunst.« Als Schiller schmunzelte, fügte Goethe hinzu: »Spotten Sie nicht. Ein jeglicher muss sich einen Helden wählen, dem er die Wege zum Olymp hinauf sich nacharbeitet. – Wieland schickt einem doch immerzu die kauzigsten Menschen. Hoffen wir nur, dass auch aus diesem absurden Most zuletzt ein guter Wein wird.«
    Endlich bogen nun auch vier königlich-britische Dragoner um die Ecke, gefolgt von einer zweispännigen Berline mit schwarzem Verdeck und brennenden Laternen rechts und links des Kutschbocks. Sie halfen dem schweigsamen Kutscher beim Aufladen ihres Reiseguts und stiegen dann zu Sir William in die Kabine. Mit einem Schlag seines Stocks gab der Brite das Signal zum Aufbruch, und während sich die Männer mit Kissen und Decken bequem und warm einrichteten, preschte die Kut sche mit ihrem Geleit auf der Erfurter Chaussee stadtauswärts.

3
    FRANKFURT

    Am Abend des darauf folgenden Tages erreichten die Gefährten die letzte Poststation vor Eisenach, wo die Pferde gewechselt wurden. Von der Anhöhe, auf der die Herberge lag, konnten sie bereits die Stadt sehen und die trutzige, schneebestäubte Wartburg in den Tannenhängen darüber. Sir William wurde von einem britischen Leutnant in Zivil erwartet, der ihnen die Botschaft übermittelte, dass Fouchés Männer Madame de Rambaud in Paris aufgetrieben hätten und nun über Luxemburg und Trier Richtung Mainz aufgebrochen seien. Dort würde das Kindermädchen spätestens in einer Woche eintreffen, und diese sieben Tage musste Goethe nutzen.
    Sir William Stanley nahm jetzt Abschied, denn es war vereinbart, dass sich die Dragoner auf der Wartburg einrichten würden. Dort, auf sicherem deutschem Boden, in der Deutschen sichersten Burg, würde der Engländer auf Goethe warten und den Dauphin empfangen, um von hier aus eskortiert weiterzureisen, entweder nach

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