Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
konnte. Trotz des andauernden Schneefalls und der beißenden Kälte in seinen Lungen war Schiller froh, der Debatte zwischen dem Neptunisten und dem Plutonisten entkommen zu sein, und er ergötzte sich an der Freiheit der Natur, am Druck der Lederzügel um seine Fäuste, am Schnaufen der Pfer de, am Anblick ihrer dampfenden Rücken und an der verschneiten Landschaft im Schatten der Thüringer Berge, in der alles still war wie ein Geheimnis.

    Entlang Haune, Fulda, Kinzig und Main ging es durch die Landgrafentümer und Fürstentümer, Bistümer und Erzbistümer südwestwärts. Das Wetter wurde endlich etwas milder; der Schneefall wich leisem Regen, und wo der Schnee nicht gefroren war, da schmolz er und misch te sich unter den Morast. Die Beine der Pferde und der Bauch der Kutsche waren alsbald mit einem braunen Belag überzogen, als wäre man über eine Furt durch einen Fluss aus Schokolade gefahren. Die Gespanne wurden auch auf den zähen, unsicheren Straßen nicht geschont, in jeder Poststelle ausgetauscht und mit dem Geld aus Voigts Kriegskasse bezahlt. In Hersfeld äußerte Schiller erstmals den Verdacht, jemand würde ihrer Gemeinschaft folgen, aber es blieb beim Verdacht, den weder er noch der russische Kutscher bestätigen konnten: Auch als sie auf einer Anhöhe kurze Rast einlegten, blieb die Straße hinter ihnen auf Meilen frei von anderen Reisenden. Nach zwei ruhelosen Tagen, am Freitagmittag, fuhr man durchs Allerheiligentor in Frankfurt ein.
    Goethe hieß Boris am Krönungsdom anhalten, wo er die Pferde abermals austauschen sollte. Da sie beschlossen hatten, die Kutsche am Rhein zu verlassen und per pedes weiterzureisen, um auf französischem Territorium beweglicher und weniger auffallend zu sein, musste ihre Ausrüstung aufgestockt werden, vorsorglich, um eine oder mehrere Nächte im Freien zu verbringen. Humboldt hatte hierzu eine Liste der nötigen Gegenstände verfasst, die er Boris überreichte, und Schiller bat für den Eigenbedarf um einen Beutel Tabak. Während der Russe einkaufte, gingen die drei Männer zu Fuß weiter, und wund von den Tagen in der Kutsche, schmerzte jeder Tritt. Goethe blühte sichtbar auf, als sie über den Römer liefen, und im Gegensatz zu seinen Gefährten störten ihn der Lärm und das Gedränge der Krämer, Marktleute, Emig ranten und Juden auf den engen Gassen nicht. Noch im mer argwöhnisch, schaute sich Schiller wiederholt um, aber wäre ihnen tatsächlich jemand gefolgt, dann wäre er im Gemenge der Reichsstadt nicht zu entdecken gewesen.
    Vor einem dreistöckigen Gebäude in der Sandgasse blieb Goethe schließlich stehen und schlug den Klopfer an der schmalen Eingangstür. Humboldt sah an den vergitterten Fenstern hinauf bis zum Giebel, auf dem ein buntes Wappen mit Adler, Löwe und Schlange angebracht war, und über der Toreinfahrt prangte der Name des Han delshauses: A NTONIO B RENTANO I M - UND E XPORT .
    »Ganz recht, wir besuchen die Brentanos«, erklärte Schiller. »Denn so sehr, wie Herr von Goethe in jungen Jahren in Maximiliane Brentano verliebt war – Gott hab sie selig –, schwärmt ihre junge Tochter nun für ihn.«
    »Glauben Sie ihm keinen Ton«, sagte Goethe, und an Schiller gewandt: »Hüten Sie gütigst Ihre vorwitzige Zunge, mein Freund, wenn wir oben sind. Denn schließlich geht es hier um die Zukunft Europas, nicht um Schwärmereien der Vergangenheit.«
    Ein Hausmädchen öffnete und begrüßte die unrasierten Männer stirnrunzelnd. Als Goethe aber seinen Namen nannte, wurden sie augenblicklich hereingebeten in eine Diele, in der es nach Öl, Käse und Fisch roch, und, nachdem ihnen Mäntel und Hüte abgenommen waren, in den ersten Stock geführt. Dort, im Salon des Hauses, saß im Lehnsessel eine Greisin in einem weißen Kleid mit Pelzkragen, auf dem Kopf eine vornehme Haube, im Schoß ein Buch von Herder. Ein Lächeln breitete sich zugleich über ihr und über Goethes Gesicht aus, als die Männer in den Raum traten.
    »Wenn das nicht unser Hätschelhans ist«, sagte sie.
    Schiller schmunzelte. Goethe stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und drückte dann einen Kuss auf die Hand der Dame. »Frau von La Roche, ich hoffe inständig, wir inkommodieren Sie nicht mit unsrer überraschenden Visite. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen meine Begleiter vorstelle: Alexander von Humboldt und Friedrich Schiller.«
    » Von Schiller, wenn wir schon dabei sind«, sagte Letzterer.
    Über ihre Hand betrachtete Frau von La Roche den Dichter beim Kuss. »Sieh an.

Weitere Kostenlose Bücher