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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Weimar oder nach Berlin oder gleich nach Mitau in Kurland, wo der Comte de Provence auf Einladung Zar Alexanders Hof im Exil hielt. Erst dann würde man die weiteren Schritte zur Absetzung Napoleons I. und zur Thronfolge Ludwigs XVII. beraten. Die Kutsche aber und ihr Kutscher – ein russischer Diener der Madame Botta mit Namen Boris, die Physiognomie eine originelle Mischung aus Spitzbüberei und Laune – standen weiter uneingeschränkt zu Diensten Goethes und seiner Begleiter.
    Stanley, der die Fahrt hindurch recht still und maulfaul gewesen war, sprach nun aus, was ihm auf der Seele lastete. »Ich ahnte bereits, dass Ihre Gruppe klein werden würde, aber dass sie derart klein ist, überrascht mich doch. Wollen Sie mir erklären, Herr Geheimrat, wie Sie es anstellen wollen, mit der Hilfe zweier Zivilisten den König von Frankreich aus seiner Festungshaft zu befreien?«
    »Nein, das will ich nicht«, erwiderte Goethe. »Denn neben Raschheit ist vor allem Verschwiegenheit geboten, und sollten Sie dem Feind in die Hände fallen, wovor Gott sei, oder gar dem Feind angehören, ist es besser, Sie wissen nichts von meinen Plänen.«
    Sir William quittierte Goethes Entschluss mit einem Nicken. Dann nahm er einige Papiere aus seiner Tasche. »Sie haben dies im Schloss vergessen. Der Herzog bat mich, es Ihnen mitzugeben.« Es war die Komödie des zornigen jungen Dichters.

    Während Stanley und seine Soldaten zur Wartburg ritten, passierte die schwarze Kutsche ohne Halt Eisenach. Die Passagiere breiteten Brot, Wurst und Schinken zum abendlichen Mahl auf der Pritsche aus, und Goethe entnahm einer mitgegebenen Kiste des Herzogs eine der vier Flaschen Champagnerweins, die darin in Stroh gebettet lagen. Er klopfte mit dem Fingernagel gegen das grüne Glas. »Carl August mag die Franken nicht leiden, doch ihre Weine trinkt er gern.«
    »Sie haben vor dem Engländer geschwiegen, aber uns werden Sie Ihren Plan doch sicherlich anvertrauen«, sag te Humboldt, während er sich eine Ecke vom Brotlaib schnitt.
    »Ich bin dankbar, dass Sie mich erst jetzo danach fragen, denn mir kam der Einfall erst hinter Erfurt. – Hören Sie gut zu: Sie erinnern sich, dass der Dauphin von seiner ehemaligen Amme erkannt werden soll? Nun, es wird so weit nicht kommen. Denn wir fangen diese Frau von Rambaud auf dem Weg nach Mainz ab und ersetzen sie durch ein Double aus unsrer Hand. In ihrer Begleitung gelangen wir durch alle Kontrollen und hinein ins tiefste Verlies.«
    »Und wie gelangen wir aus diesem tiefsten Verlies wieder hinaus?«, fragte Schiller.
    »Das kundschaften wir vor Ort aus.«
    »Und wer wird diese falsche Frau Rambaud sein?«, fragte Humboldt. »Denn ich werde gewiss keine gute Figur im Rock machen.«
    »Wir werden natürlich ein echtes Weib nehmen.«
    »Der Krieg ist nicht für Weiber«, wandte Schiller ein.
    »Für dieses eine Weib schon.« Goethe lehnte sich auf der Pritsche zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Ich kenne eine Frau in Frankfurt, die kann mir keinen Wunsch abschlagen.«
    »Ihre Mutter?«
    »Nein, zum Geier! Nicht diese Frau.«
    »Herrje«, sagte Schiller, als ihm dämmerte, wen Goethe meinte, »das arme Ding ist doch fast noch ein Kind! Frankreich ist kein Himmelsstrich für solche Blumen.«
    »Klingen Sie nicht so pfäffisch, mein Freund. Im Sieg voran! und alles ist erlaubt!«, sagte Goethe und zog den Korken aus der Flasche, dass der durchgeschüttelte Schaumwein auf den Boden troff. Er wollte nicht weiter über Mainz sprechen und brach daher aus heiterem Himmel eine geologische Diskussion vom Zaun, indem er erklärte, alles Gestein sei aus Ablagerungen der Urmeere entstanden. Diese Einladung konnte Humboldt unmöglich ablehnen, und mit Lust am Disput widersprach er: Die Kontinente seien nicht aus Sedimenten entstanden, sondern von Vulkanen hervorgebracht, und er, Humboldt, habe in Amerika untrügliche Beweise gesammelt, dass Granit vulkanischen Ursprungs sei. Goethe hielt dagegen, dass nichts auf der Welt, was gut und von Dauer, plötzlich entstanden sei wie ein Vulkanausbruch, sondern vielmehr gemächlich. Nur die Evolution sei ewig, jede Revolution aber vergänglich, und das beste und jüngste Beispiel hierfür sei die »vulkanische« Französische Revolution, deren Republik eine Lebensdauer von nur wenigen Jahren erfahren habe. Als Schiller das Gespräch über Sedimente und Basalte zu langweilen begann, löste er den Kutscher Boris ab, damit dieser im Innern der Kutsche essen und schlafen

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