Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac
nach mir ginge …!«
»Ja, schämen Sie sich denn nicht, so zu reden?« entgegnete die Frau.
»Schämen! … Sie machen wohl Spaß, Mütterchen! … Ich habe zu Hause ein Kleines, das nach seinem Futter schreit.«
»Und ich, habe ich etwa niemanden?« entgegnete die Frau.
»Wenn es Ihnen recht ist, daß Ihre Brut vor Hunger stirbt, ist das ja Ihre Sache. Aber das ändert nichts daran, daß ich, wenn wir morgen noch hier sind, zum Chef gehen und unter vier Augen mit ihm ein Wörtchen reden werde. Es müßte ja des Teufels sein, wenn wir hier nur diesem Fräulein zuliebe vor die Hunde gingen!«
»Sie sind ein Feigling!« rief die Frau empört aus. »Auch ich habe Kinder, aber ich sähe sie lieber begraben, als daß ich eine solche Gemeinheit beginge.«
»Jeder nach seiner Façon«, gab der Arbeiter zurück. »Wir werden ja morgen sehen.«
Im tiefsten Herzen getroffen, war Jane Buxton dem Umsinken nahe. Hier sprachen sie also alle von ihr, ohne sich zu genieren, und waren der Meinung, daß ganz offenbar sie die einzige Ursache ihrer sämtlichen Leiden sei! Dieser Gedanke war ihr unerträglich. Was aber sollte sie tun, um zu beweisen, daß sie sich im Irrtum befanden?
Stunde für Stunde, Minute für Minute, rann auch dieser 5. Mai dahin. Die Sonne ging unter. Es wurde Nacht. Zum dritten Mal seit Tonganés Aufbruch verhüllten dicke Wolken den Mond, es herrschte tiefe Dunkelheit. Würde nicht der Neger diesen Umstand nutzen und endlich das erwartete Zeichen geben?
Obwohl sie kaum noch darauf hofften, hielten doch alle ihre Blicke wie allabendlich auf jene Mauerecke geheftet, auf der das Signal erscheinen sollte. Sieben Uhr, acht Uhr, achteinhalb kündete die Uhr der Fabrik. Sie warteten immer noch umsonst.
Ein paar Minuten nach halb neun rann ein Beben durch die angstvoll harrende Menge der Belagerten. Nein, Tongané hatte sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Oberhalb des Negerviertels erschien endlich das vereinbarte Zeichen.
Ohne einen Augenblick Zeit zu verlieren, handelte man. Auf Camarets Befehl wurde eine seltsam geformte Maschine oben auf dem Gerüst aufgestellt. Es war eine Kanone, eine richtige Kanone, ohne Räder und ohne Lafette, eine Kanone aus Holz. In das Innere dieser sonderbaren Bombarde, die aus dem hohlen Stamm einer Raffiapalme bestand, wurde ein Geschoß eingeführt, das unter dem Druck komprimierter Luft lautlos den Raum durchmaß.
Es führte eine doppelte Stahlkette mit sich, die mit einem Haken versehen war, der sich, wenn alles gut ging, an der Zinne der Mauer des Sklavenquartiers festkrallen würde.
Gewicht des Projektils, Luftdruck, Ausmaß, Form und Aufstellungsort der Kanone – alles war von Camaret, der diese seltsame Artillerie von niemand anderem bedienen ließ, bis ins kleinste sorgfältig ausgetüftelt worden.
Lautlos überquerte das Geschoß den Quai, den Fluß, das Quartier der Merry Fellows und senkte sich sodann in das der Schwarzen hinab. War es ein Erfolg gewesen, hatte sich der Haken in der Mauer fixiert?
Camaret setzte vorsichtig die Trommel in Bewegung, auf der das Eisenseil aufgerollt gewesen war. Bald spannte sich dieses und gab seinen Bemühungen nicht mehr nach. Ja, der Versuch war von Erfolg gekrönt. Jetzt verband somit ein Luftweg die Belagerten und die Sklaven.
Auf diesem Wege wurde der Waffentransport sofort ins Werk gesetzt. Zunächst ein Ballen Explosivstoff, dann folgten viertausend Messer, Äxte oder Piken. Noch vor elf Uhr war der Transport beendet. Alle verließen darauf das Gerüst und versammelten sich, bewaffnet mit dem, was ihnen gerade in die Hände fiel, hinter dem großen Tor. In einer geschlossenen Gruppe, in deren Mitte sich die Frauen befanden, hielt man sich bereit, im gegebenen Augenblick einzugreifen.
Jemand fehlte jedoch in dieser Gruppe, eine Frau: Jane Buxton.
Saint-Bérain, Amédée Florence, Barsac und Dr. Châtonnay riefen vergebens ihren Namen in alle Winde und suchten sie umsonst in allen Ecken und Winkeln. Sie konnten sie nicht entdecken.
Von einigen wohlgesinnten Arbeitern unterstützt nahmen sie nochmals ihre Suche auf, doch mit ebenso negativem Erfolg. Die Fabrik wurde vergebens von unten bis oben durchforscht.
Endlich mußten sie sich dem Augenschein fügen. Jane Buxton war verschwunden.
XI.
Was sich hinter der Tür befand
Jane Buxton war tatsächlich, und zwar auf ganz einfache Weise, auf und davon gegangen, nämlich durch die Tür, die nur zugeriegelt, aber nicht mehr wie vorher verschlossen war. Auf
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