Das erste Jahr ihrer Ehe
auf jeden Fall alle auf Anzeichen von Höhenkrankheit bei sich und den anderen achten. Sie werde sehen, wie es Patrick am Morgen ging, und werde eventuell Kevins Rat brauchen. Wenn sie Njoroge sagte, dass sie den Eindruck habe, Patrick sei höhenkrank, erklärte sie, wäre die Tour beendet. Der Führer würde sofort umkehren, und selbst Patrick würde einsehen, dass sie ohne Führer nicht weitergehen konnten. Er würde wütend sein, dachte Margaret. Oder wäre er erleichtert?
»Das ist überwältigend«, sagte Everdene, den Blick zu den Schwaden von Sternen über ihnen gerichtet. »So etwas haben Kevin und ich nie gesehen. Das allein ist die ganze Kletterei wert.«
»Ich wollte, ich hätte ein Teleskop«, sagte Kevin. »Ich kann mir vorstellen, dass andere hier mit Teleskopen heraufgeklettert sind.«
»Ich war in verschiedenen Gegenden von Amerika, wo die Luft angeblich klar ist und es keine Lichtverschmutzung gibt, aber so einen Nachthimmel habe ich auch noch nie erlebt«, sagte Margaret. »Natürlich sieht er in der nördlichen Hemisphäre anders aus. Ich kenne mich mit Sternbildern nicht aus.«
Kevin kannte sich dank seinen Pfadfinderzeiten, wie er sagte, besser aus. Er benannte ihnen mehrere Sternbilder, die er bisher nur in Büchern gesehen hatte.
»Man kommt sich ganz klein vor«, sagte Everdene.
»Wir sind klein«, sagte Margaret.
»Sie sind klein, und Sie müssen schlafen gehen«, sagte Njoroge über ihnen. »Morgen müssen wir um drei Uhr früh aufstehen. Oder haben Sie das vergessen?«
»Ich hab’s versucht«, antwortete Margaret und setzte sich auf.
Auch Njoroge schaute zu den Sternen hinauf. »Ngai erhört ihre Gebete«, sagte er. »Die Regenzeit will zum Mount Kenya kommen, aber er macht, dass sie wegbleibt.«
»Hoffen wir, dass er sie uns wenigstens noch einen Tag vom Leib hält«, sagte Kevin und sprang auf.
»Ngai tut, was er will«, erklärte der Kikuyu-Führer.
Am Morgen gab Patrick sich alle erdenkliche Mühe, und Margaret fand, er habe wieder mehr Farbe, auch wenn er immer noch nicht ganz auf der Höhe war. Um zu zeigen, dass es ihm besser ging, bat er um ein umfangreiches Frühstück. Der Koch verweigerte es ihm – sie würden nach dem Gletscher richtig frühstücken –, aber in den fünfzehn Minuten, die der Führer ihnen vor dem Aufbruch ließ, konsumierte Patrick immerhin zwei große Brocken Weißbrot mit Guavenmarmelade und zwei Tassen Kaffee. Margaret, die ihren Mann beobachtete, war davon überzeugt, dass er sich zum Essen zwang – tapfer wie ein Kind –, aber sie konnte es nicht beweisen. Wenn sie die Tour seinetwegen unterbrachen, würde er wütend werden und seine Anstrengungen, sie von seinem Wohlbefinden zu überzeugen, verdoppeln. Er würde sie barsch daran erinnern, dass er der Arzt war und nicht sie. Sie wusste, dass er alle Fragen beantworten konnte, die irgendein Ranger ihm stellen würde, und war das nicht der entscheidende Test?
»Glauben Sie, er ist in Ordnung?«, fragte Kevin sie.
»Nicht hundertprozentig, aber ausreichend. Ich rede mal mit ihm.«
»Geht es dir gut?«, fragte sie Patrick, als sie ihre Rucksäcke schulterten.
»Herrgott noch mal, Margaret, was soll das? Mir geht’s ausgezeichnet. Jeder hier würde sagen, dass ich völlig in Ordnung bin. Willst du uns sabotieren?«
Der Angriff erfolgte mit der Heftigkeit eines Schlags. Margaret war sicher, dass er seine Entgegnung einstudiert hatte.
»Nein, nein«, versicherte sie. Everdene und Kevin waren schon losgegangen, um Margaret und Patrick ungestört zu lassen. »Wenn du sagst, dass es dir gut geht, dann geht es dir gut. Ich will uns bestimmt nicht sabotieren. Du kannst es mir glauben, ich möchte genauso gern auf den Gipfel wie du. Aber nicht auf deine Kosten.«
»Mir fehlt nichts, verdammt noch mal«, sagte er.
Margaret drehte sich um und ging los.
Die Schotterhalde stellte Margaret vor die gleiche Herausforderung wie im Jahr zuvor. Sie erinnerte sich, dass sie damals jede Minute der Klettertour verflucht hatte und am meisten den Schotter. Wieder konnte sie über sich nur die Lichtkegel der Taschenlampen erkennen. Patrick war gleich durchgestartet, wohl auch, um zu beweisen, dass er absolut fit war. Sie selbst konnte nicht einmal genug Kraft aufbringen, um Everdene zu ermuntern, die mit ihr Schritt hielt und, wenn sie ganz ehrlich war, weniger Mühe zu haben schien als sie. Ihre kräftigen Beine waren ihr auf dieser Etappe der Tour eine Hilfe, aber sie hatte den Anstand, Margaret nicht
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