Das erste Schwert
sagte Erle.
Skip kroch ein paar Handbreit nach vorn, stützte sich auf die Arme und spähte durch die wirre Masse zuckender Tentakel ins
Freie. Er konnte den Findling sehen, einen gewaltigen grauen Felsen in der blaugrün wogenden Grasflut – kaum weiter als hundert
Schritt von der wilden Jagd entfernt. Der Reiter beugte sich im Sattel vor und schwang seine Gerte, doch der erschöpfte Kastanienbraune
konnte nicht mehr schneller laufen.
Skip schätzte den schrumpfenden Abstand. »Die Wette gewinnst du«, raunte er seinem Bruder zu.
Neben ihm schnaubte Ellah missbilligend. »Wie könnt ihr Wetten auf das Leben dieses Mannes abschließen!«
»Sei doch nicht dumm«, brummte Skip und ließ Reiter und Verfolger nicht aus den Augen. »Seit wann bringen Priester jemanden
um?«
»Ja, klar, und Priester machen auch nicht Jagd auf irgendwelche Reisende«, sagte Ellah mit Nachdruck.
|14| Die drei wechselten einen Blick. Verunsicherung durchzuckte sie. Bloß – nie im Leben hätte das einer von ihnen laut ausgesprochen.
Nur ein hoffnungsloser Narr konnte daran denken, sich als Priester zu verkleiden und den Zorn der Kirche herauszufordern.
Und die drei Echsenreiter sahen alles andere als närrisch aus, wie sie ihre Ungeheuer antrieben, um die Beute zu stellen.
Der Reiter näherte sich dem Findling. Noch immer verhinderte es die Entfernung, dass man seine Gesichtszüge sah, doch die
langen, im Wind wirbelnden Haare schimmerten dunkel, fast schwarz unter der gleißenden Sonne. Zu schwarz.
Der Anführer der Priester hob eine Armbrust. Ein hohes Sirren zerschnitt die Luft.
Skip hielt den Atem an.
Etwas Unsichtbares traf den Reiter und schlug ihn nach vorn. Ein letztes Mal flatterten die Mantelschöße empor und sackten
dann leblos herab – ein im Flug getroffener Vogel. Mensch und Pferd waren nicht länger eins. Entsetzlich langsam rutschte
der Mann aus dem Sattel und fiel sich überschlagend zehn Schritt vor dem Findling zu Boden.
Für die Dauer eines Herzschlags lastete bleierne Stille über den Grasebenen. Schließlich erhob sich ein Vogel wehklagend aus
dem Geäst eines Baumes und flatterte in Richtung der östlichen Berge davon. Um Skips Handgelenk ringelte sich ein fleischiger
Tentakel. Ohne hinzusehen, verpasste er ihm einen Klaps und trieb ihn damit in die Flucht.
Die drei Kapuzenmänner erreichten den Findling und zügelten ihre Reittiere. Reglos, lauernd, verharrten sie in Sätteln, die
an die langen Hälse der Echsen geschnallt waren.
Rings um Skip, Erle und Ellah bewegten sich wimmelnd die Tentakelgewächse der Hecke – unmöglich, dass auch nur der geringste
Laut nach außen dringen konnte; und doch |15| schienen die Echsenreiter ganz offenbar etwas gehört zu haben. Ihr Anführer riss die Hand hoch und gab den anderen ein Zeichen.
Die drei Männer nahmen die Zügel auf, zerrten ihre Reittiere herum und flohen in nördlicher Richtung entlang der Hecke. Die
schwarzen Roben wirbelten im Wind, und Skip erhaschte einen Blick auf etwas darunter, das wie eine lederne Panzerung aussah.
»Das waren keine Priester!«, wisperte Erle. »Ich werde –«
Skip wollte ihm antworten, doch die Ereignisse in den Or’hallas entwickelten sich zu schnell. Auf einer nahegelegenen, flachen
Hügelkuppe tauchten fünf Reiter auf.
»Cha’ori!«, stieß Ellah hervor. »Ein Spähtrupp!«
Die Cha’ori-Krieger sahen so natürlich aus auf ihren Grasland-Pferden, dass es den Anschein hatte, als seien sie mit ihnen
verwachsen – menschliche Oberkörper auf Pferdeleibern. Die Federbüsche der spitzen Lederhelme züngelten wie Flammen in der
Sonne, sodass es unmöglich war, die Farben ihres Stammes auszumachen.
Die Grasland-Nomaden machten selten Ärger, wenn jemand ihr Hoheitsgebiet durchquerte. Eine Gruppe bewaffneter Männer jedoch,
die auf ihrem Land einen Reiter verfolgten, war offenbar ungewöhnlich genug, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
»Die Cha’ori werden sie erwischen!«, zischte Ellah und richtete sich auf die Ellbogen auf. »Fünf gegen drei – die Chancen
stehen gut.«
»Sie können sie nicht kriegen«, widersprach Skip. »Selbst, wenn sie wollten. Diese Echsen-Ungeheuer laufen viel schneller
als Pferde.«
Und tatsächlich machten die Cha’ori keinerlei Anstalten, die Verfolgung aufzunehmen. Stattdessen richteten sie ihre Aufmerksamkeit
auf den Kastanienbraunen, der in den Weiten des Graslands den Bergen entgegengaloppierte.
Einer der Krieger stellte sich so
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