Das Erwachen
Ich will wissen, was mit mir nicht in Ordnung ist.«
Nach einem Schnelltest beruhigte sie der Arzt, sie sei nicht schwanger. »Mit achtundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit.«
»Die genügt mir. Was könnte es sonst für einen Grund geben?«
Eine Entzündung könne sie haben, meinte der Frauenarzt und nahm ihr Blut ab. Außerdem könnten Schwankungen in ihrem Hormonhaushalt die Ursache sein. Und Stress sei auch häufig der Grund für das Ausbleiben der Periode. »Haben Sie Stress, Frau von Rönstedt?«
»Nein. Mein Mann sorgt doch gut für mich.«
»Das haben wir alle hier in Saarburg mitbekommen. Sie sind zu beneiden. Aber so verwöhnt zu werden, hat nichts mit Stress zu tun. Oder besser gefragt: Gibt es irgendwelche psychischen Belastungen, denen sie sich ausgesetzt sehen?«
Auch das verneinte Sarah, die sich kurz darauf verabschiedete. Die eigentlichen Gründe gingen den Arzt nichts an. Und er würde sie auch nicht glauben. Nicht glauben wollen. Gegen Henry kam sie nicht an.
Noch einen Kaffee getrunken, dann machte sie sich auf den Weg zu Rechtsanwalt Sven Dornwald. Sie war telefonisch angekündigt und brauchte nicht zu warten.
»Machen wir also da weiter, wo wir vor Monaten aufgehört haben, Sarah.«
Sven suchte eine Akte und kontrollierte den Inhalt. »Ich überfliege den Ehevertrag, den Henry und du kurz vor der Ehe abgeschlossen haben«, entschuldigte er sich und las weiter. Ohne aufzuschauen fragte er wenige Sekunden später: »Hast du das Testament auch mitgebracht?«
»Nein, ich wollte Henry nicht danach fragen. Er braucht nicht zu wissen, dass ich hier bin.«
»Wenn ich recht informiert bin, liegt eine Kopie des Testamentes beim Notar.«
»Das stimmt. Sag mal, Sven, kannst du lesen und reden zur gleichen Zeit?«
»Schon fertig.« Er schaute auf.
»Nach diesem Vertrag ist es eindeutig: Ihr habt Gütertrennung, Henry behält sein Vermögen, du deines. Er hat keine Verpflichtung, dir Unterhalt zu zahlen. Alles, was ihr gemeinsam angeschafft habt und was auf euren Namen gekauft wurde, davon kannst du die Hälfte beanspruchen.«
»Das Haus haben wir gemeinsam gekauft.«
»Und Einrichtungsgegenstände?«
Sarah zuckte mit der Schulter. »Ich weiß nicht, Sven. Mal der eine, mal der andere. Vielleicht einige Möbel gemeinsam.«
»Und dein Auto?«
»Firmenwagen, geleast. Henry lässt ihn über die Firma laufen.«
»Gut, die Hälfte des Hauses ist schon was. Da ihr keine Kinder habt und du noch jung genug zum Arbeiten bist, musst du dich wohl mit dem Gedanken anfreunden, für dich selbst zu sorgen, Sarah.«
»Ich wusste doch, dass an der Freiheit ein Haken ist«, scherzte sie. »Brauchst du nicht in deinem Büro jemanden, der dir hilft?«
»In einigen Monaten ist alles ausgestanden«, ging Dornwald nicht auf ihre Bemerkung ein. »Dann bist du frei. Soll ich ein Schreiben aufsetzen und es deinem Mann zukommen lassen?«
»Schreiben aufsetzen ja, aber ich möchte es vorher noch einmal mit dir besprechen.«
Dornwald nickte. »Nun zu deinem Erbe, deines Vaters Testament. Du hast mir erzählt, Henry habe alles für dich geregelt, stimmt das?«
Sarah nickte. »Ich war damals nicht in der Lage, mich damit zu beschäftigen. Ich habe Henry eine Vollmacht gegeben.«
»Und was und wie hat er es geregelt?«
»Es sei gut angelegt. Die Verwaltung meines Vermögens läuft über seine Firma.«
Dornwald drehte den Stuhl und schaute aus dem Fenster. Weniger als zweihundert Meter entfernt konnte man die Burg erblicken. Auf dem oberen Rundgang standen Touristen und machten Fotos.
»Hat er dir Aufstellungen und Unterlagen gezeigt?«
»Ja. Einige Male musste ich auch etwas unterschreiben.«
»Was mich interessiert, Sarah: Wie vermögend bist du eigentlich? Habe ich einen Grund, mich scheiden zu lassen?«
»Es wird genügen«, meinte Sarah gut gelaunt. »So schnell muss ich nicht arbeiten gehen.«
»Nur um sicher zu gehen: Lass dir bitte vom Notar eine Zweitausfertigung des Testamentes deines Vaters aushändigen und von Henry eine Aufstellung deines Vermögens mit allen Transaktionen und Veränderungen, die von dir veranlasst wurden.«
»Was bist du denn auf einmal so förmlich?«, wunderte sich Sarah.
Dornwald wandte sich in ihre Richtung, legte die Unterarme auf den Schreibtisch und sah sie lange an. »Sarah, wir kennen uns schon lange. Und ich bin seit mehr als zehn Jahren im Beruf. Aber eines ist mir bisher noch nicht begegnet: Dass jemand etwas geerbt, eine ganze Menge geerbt, und noch nicht
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