Das Erwachen
hätte mich davor bewahrt. Aber ich erinnere mich nicht daran. Obwohl ich nüchtern war«, fügte sie hinzu, weil Sven und Annika ihre Methode des Vergessens kannten.
Annika rückte um den Tisch und legte einen Arm um ihre Schulter.
»Du kannst einem ganz schön Angst machen, Sarah. Tu das bitte nie wieder. Versprich es, ja?«
Sarah musste es versprechen und wusste doch bereits jetzt, sie würde es nicht einhalten. In einer vergleichbaren Situation und Stimmungslage würde sie es erneut versuchen. Es ist so einfach, redete sie sich immer wieder ein. Du brauchst nur zwei Sekunden Überwindung, hast zwei Sekunden freien Fall und dann für alle Ewigkeit keine Probleme mehr.
Henry hatte auf sie gewartet und war außer sich, als sie spät nach Hause kam. Er machte ihr die schlimmsten Vorwürfe. Sie verhalte sich geschäftsschädigend, schließlich hätten die beiden Herren sie gerne kennen gelernt, weil er, Henry, so oft von seiner Frau geschwärmt habe. Nun stehe er da wie der letzte Depp. Äußerst peinlich und einsilbig sei die Unterhaltung verlaufen, Mary habe falsch eingedeckt und das Fleisch sei innen noch roh gewesen. Gleich nach dem Essen hätten sich die beiden schnell verabschiedet. Aus dem Geschäft werde bestimmt auch nichts.
Sarah schaute ihn nur an. Ihr Blick sagte alles.
»Der Vontarra hat sogar Blumen mitgebracht, und du verziehst dich einfach.«
Sarah zuckte mit der Schulter.
»Weißt du eigentlich, worum es ging? Weshalb die beiden mich aufgesucht haben?«
»Ich schätze, du wirst es mir jetzt sagen.«
»Das waren zwei Banker. Es geht um die Finanzierung meines neuen Autohauses. Es geht um mindestens 15 bis 20 Millionen Kredit, eher mehr. Und du lässt mich hängen.«
»Wolltest du mich gleich mitfinanzieren?«
Sarah schlüpfte aus ihren Schuhen, ließ sie einfach stehen und schenkte sich einen Cognac ein. »Ich weiß, ich trinke zu viel«, kam sie einer Bemerkung von Henry zuvor. »Auf deine beiden Banker, die 20 Millionen und dein Autohaus.« Mit einem Schluck leerte sie das Glas.
»Du müsstest dich selbst mal sehen. Nichts ist mehr übrig von der Sarah, die ich einmal geheiratet habe. Schau doch nur in den Spiegel, wie du aussiehst. Dein Haar ist stumpf, das Gesicht grau und leidend, mit so einem abfälligen, verhärmten Zug um die Mundwinkel, und du hast deine Fingernägel nicht lackiert. Wegen dir dreht sich niemand mehr auf der Straße um. Du bist eine graue, unauffällige Alltagsmaus geworden.«
»Genau das gefällt mir. Es soll sich niemand umdrehen. Männer interessieren mich einen Scheißdreck. Alles dein Verdienst, mein lieber Henry. Was du nicht alles erreichen kannst! Es könnte ja jemand so sein wie du. Schrecklich, diese Vorstellung. Nicht wahr?«
Sie füllte das Glas erneut, lümmelte sich in einen Sessel, verrückte ihn und sah aus den Augenwinkeln, wie Henry zuckte und etwas sagen wollte. Immerhin hatte sie gerade zum zweiten Mal seinen Ordnungssinn verletzt. Um dem Ganzen noch ein Tüpfelchen aufzusetzen, legte sie ihre Füße auf den Heizkörper.
Sarah wartete auf einen Wutausbruch von Henry, aber sie hörte ihn nur vernehmlich atmen. Nach wenigen Minuten stand er auf und wollte den Raum verlassen.
»Sarah, ich möchte dich um etwas bitten«, begann er vor der Tür stehend moderat. Sie konnte aus dem Klang seiner Stimme hören, dass er sich zur Ruhe zwang.
»Was ist denn, mein Schatz?«, benutzte sie seine Standardformulierung und beobachtete ihn in der Glasscheibe.
»Mach dich nicht lächerlich.«
»Ich höre.« Sie lächelte abfällig, was Henry jedoch nicht sehen konnte.
»Übermorgen stelle ich mein Projekt intern im Kreis der Unternehmer vor. Fünf habe ich ausgewählt zu einem Abendessen auf der Burg, mit Frauen selbstverständlich. Kann ich mit dir rechnen?«
»Wouh, fünf hast du ausgewählt. Und dann auch noch mit Frauen. Wie großzügig von dir. Wer kommt denn alles?«
»Achterbusch, Ellwanger, Friederich, Idenbach und Forschau.«
»Mit dir sind es dann elf.«
»Mit uns wären es zwölf.«
»Und ich soll die nette Mutti spielen.«
»Du brauchst dich nur normal zu geben.«
»Das wäre das Schlimmste, was dir passieren könnte, mein Lieber.« Sarah lachte glucksend und roch an dem leeren Glas.
»Kann ich mit dir rechnen?«
»Würde ja sonst irgendwie doof aussehen. Alle mit Partner, nur du allein. Hast du denn niemand, der meine Stelle einnehmen könnte? Gibt oder gab es da nicht einen in Trier, der seiner Ex-Frau Tausende von Euro bezahlt hat,
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