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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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das von meinen Eltern zu hören bekommen. Zumindest in der Schulzeit immer dann, wenn ich eine Fünf mit nach Hause gebracht habe.«
    »Wir haben doch nie Fünfen geschrieben, dafür konnten wir zu gut pfuschen.«
    »Stimmt auch wieder.« Henry lächelte.
    Nach einer halben Stunde hatten sie keinen Gesprächsstoff mehr. Eine Weile schwiegen sie vor sich hin. Henry, der sein Essen beendet hatte, vergaß seine Umwelt und spielte mit dem Salzstreuer, streute Salz auf den Tisch und schob es mit dem Messerrücken zu nicht identifizierbaren Mustern zusammen.
    »Hast du schon mal Tote gesehen?«, fragte er ohne aufzuschauen.
    »Ja, eine ganze Menge«, bestätigte Ollenwein. »Als Referendar am Gericht in Frankfurt. Jeden Tag einen.«
    »Aber das waren alles Fremde.«
    Ollenwein nickte. »Monika und ich, wir führen auch nicht die beste Ehe. Aber wenn ich denke, dass Monika …« Er schüttelte sich vor der Vorstellung.
    Henry legte das Messer zur Seite, lehnte sich zurück, stützte sich mit den Händen am Tisch ab und sprach mit halb geschlossenen Augen: »Und dann fahre ich nach Frankreich und muss Sarah identifizieren. Kein friedliches Einschlafen – die Augen geschlossen, den Mund auch, die Hände gefaltet – sondern alles verbrannt. Dunkel, fast schwarz. Dann auch wieder rosa und hell. Geschrumpelt die Haut, losgelöst, wie aufgeplatzte trockene Farbe. Die Kleider teilweise in die Haut eingefressen, zumindest deren Kunststoffanteil, wie die Polizei mir erklärt hat. Das gibt dann so komische bleiche Flecken. Schlimm, schlimm.«
    Henry stützte den Kopf mit beiden Händen auf. »Du hättest sie sehen müssen. Es wäre dir hochgekommen. Noch nie habe ich so etwas gesehen. Es wäre dir hochgekommen.«
    Ollenwein war sich unsicher, wie er sich Henry gegenüber verhalten sollte. Bisher hatte er den Freund immer nur als starken souveränen Typen gekannt, und nun benötigte er allem Anschein nach Hilfe. Für ihn eine vollkommen ungewohnte Situation.
    »Vielleicht hätte ich auch alles verhindern können, wenn ich mich nicht so häufig mit Sarah gestritten hätte. Aber jetzt ist es zu spät.« Henry wirkte resigniert. Der Schock saß tief.
    »Vorwürfe in dieser Richtung, die machen dich nur noch mehr kaputt«, versuchte Ollenwein ihn aufzumuntern. »Du musst dich ablenken«, riet er dem ehemaligen Schulfreund. »Musst auf andere Gedanken kommen.«
    »Weißt du, Benedikt«, Henry sah ihn von der Seite an mit Augen, die Trauer und Niedergeschlagenheit vereinten, »mir ist noch nie so bewusst geworden, dass der Tod etwas Endgültiges bedeutet. Selbst damals nicht, als meine Eltern verstorben sind.«
    »Willst du jetzt etwa auch sterben?«, fragte Ollenwein und entschuldigte sich sogleich wieder. Die Bemerkung war ihm herausgerutscht. Und vor einigen Monaten hätte sie Henry nichts ausgemacht. Heute jedoch schien er sensibler zu sein. Auch ein vollkommen fremder Wesenszug an dem Freund.
    »Was heißt sterben? Der Tod ist dein ständiger Begleiter. Tod bedeutet Schluss, Ende, Aus. Im Tod bist du allein. Wehrlos und allein. Wenn er kommt, dann kommt er.«
    Henry philosophierte über das Leben und den Tod. Er sprach ohne Emotionen und so gleichgültig, als hielte er einen Vortrag. Dabei verbreitete er eine dumpfe, morbide Stimmung. Man könne doch nichts ändern, also solle man immer vorbereitet sein. Noch besser wäre es vielleicht, das Schicksal selbst zu bestimmen. Wie schön müsse doch ein Tod in jungen Jahren sein, mitten aus dem Leben, wenn man nicht daran denke. Aber bitte schnell und ohne Schmerzen. Am besten ein schwereloses Hinübergleiten, vom Schlaf in den Tod. Von einem Schlaf in den anderen, ewig dauernden. In den ohne Erwachen und ohne Rückkehr.
    Als Henry nach einer Stunde immer noch auf die gleiche depressive Art mit ihm sprach, nur dunkle Wolken am Zukunftshimmel sah, und er permanent etwas Destruktives verströmte, da war es Ollenwein nicht mehr einerlei.
    »Henry, darf ich dir einen Rat geben.«
    Als schien er aus einem Traum zu erwachen, schaute Henry ihn an. »Ja, bitte.«
    »Gehe zu Klaus Ludevik. Er kann dir besser helfen als ich.«
    »Klaus, der Psychologe? Sag mal, hältst du mich etwa reif für die Klapsmühle?«
    »Nein, nein«, bemühte sich Ollenwein, Henry zu beschwichtigen. »Aber dein Problem sitzt tiefer und ist kein juristisches. Klaus hilft dir bestimmt.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Mir hat er auch geholfen. Du weißt doch damals, mit dem Alkohol und dem Unfall. Mir hat er sehr

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