Das Erwachen
geholfen.«
Henry akzeptierte Ollenweins Vorschlag mit der Einschränkung, dass er auf seinen Rat zurückkäme, wenn es ihm in Zukunft nicht besser gehen würde. Damit war Ollenwein zufrieden. Seine Pflicht hatte er erfüllt.
Die Beerdigung war vorbei. Nur wenige hatte Henry über den genauen Beisetzungstermin informiert. Keine zwanzig Personen, die den huldvollen Worten des Geistlichen gelauscht hatten. Jeder warf eine Schaufel Sand auf den Sarg aus Bronze, Henry schritt eilig davon, damit war die Zeremonie beendet.
Zur Verwunderung aller, die mit ihm zu tun hatten oder ihn beobachteten, wurde Henry in den kommenden Tagen tatsächlich ruhiger, war wieder fast der Alte. Er gewann seine Überheblichkeit zurück, legte aber die Ungeduld gegenüber den Mitarbeitern nicht ab. Henry schien lockerer zu sein, machte manchmal Witze, was wiederum andere nicht angepasst fanden, so kurz nach dem Tod seiner Frau, und ging abends mit Bekannten aus. Er ließ sich sogar zum Besuch einer Diskothek für Ältere überreden, gemeint waren diejenigen zwischen fünfundzwanzig und vierzig. Dieser Treffpunkt für Singles im Industriegebiet von Saarburg, den Alleinstehende auf der Jagd nach dem Partner, und wenn auch nur für eine Nacht, aufsuchten, war wiederum Thema für ein neues Gerücht.
Henry trudelte mit Jonas und Susi Ellwanger sowie Marek und Gille Achterbusch nach Mitternacht in diesem Etablissement ein, als es dort bereits hoch herging. Susi forderte ihn sogleich zum Tanzen auf. Und sie tanzte so eng mit Henry, dass Jonas unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Unvermittelt kam Henry die Erinnerung an Südafrika und diesen Portugallo, wie er ihn genannt hatte. Der mit Sarah … Wie zum Trotz drückte Henry Susi so fest an sich, dass sogar sie erstaunt war.
»Kompliment«, stichelte Jonas, als sie wieder zurück waren.
»Wieso?«, wollte Susi wissen, die außer Atem zu sein schien und ein Glas Sekt hinunterstürzte.
»Ihr wart die schönsten siamesischen Zwillinge auf der Tanzfläche.«
Henry tanzte, um Jonas zu ärgern, oft mit Susi, erfüllte auch seinen Pflichttanz mit Gille, die er, ähnlich wie Sarah, nicht ausstehen konnte, und forderte sogar wildfremde Frauen auf.
»So kurz nach Sarahs Tod, schon tanzt er mit fremden Weibern«, beschwerte sich Susi, verzog sich schmollend in eine Ecke und trank ein Glas Sekt nach dem anderen. Bis sie nicht mehr tanzen konnte.
Gegen fünf am Morgen kam Henry nach Hause. In der Diele hängte er seinen Mantel auf den Bügel, zog die Schuhe aus und stellte sie in die Kammer. Auf Strümpfen ging er ins Schlafzimmer, entkleidete sich, der Anzug kam ebenfalls auf einen Bügel, wurde jedoch nicht in den Schrank gehängt. Das bedeutete für Mary, sie habe ihn am anderen Morgen zumindest auszubürsten und aufzubügeln.
Und dann duschte Henry ausgiebig.
Nach einer halben Stunde, er war noch nicht müde, saß er im Bademantel im Wohnzimmer und trank eine Bitter Lemon. Wie gewohnt ließ er seinen Blick umherschweifen, auf der Suche nach einer Ordnungswidrigkeit, wie es Sarah in Anspielung auf seinen Tick einmal formuliert hatte.
Henry entdeckte sofort eine, stand auf und verschloss die Schranktür, die wenige Zentimeter offen stand. Anschließend setzte er sich wieder. Zwei Minuten später rückte er ein Bild gerade. Und bevor er wieder Platz nehmen wollte, inspizierte er das Wohnzimmer. Unversehens kam ihm alles unordentlich vor. Der Teppich lag nicht zentriert, der Tisch stand nicht mittig, die Stehlampe war viel zu weit weggerückt vom Sessel, und gegen das Licht betrachtet entdeckte er sogar Streifen auf dem Parkett.
Er änderte nichts an der Unordnung, machte seinen Rundgang und überprüfte, ob auch alle Türen und Fenster verschlossen waren. Um sich ganz sicher zu fühlen, öffnete er den Safe, nahm wie jeden Abend seit Sarahs Verschwinden die kurzläufige 357-er Magnum heraus, schaute nach, ob sie geladen war, ließ einmal die Trommel kreisen und legte sie griffbereit auf den Nachttisch. Vorher jedoch stellte er noch einen Stuhl gegen die sich nach innen öffnende Schlafzimmertür. Er würde mit lautem Geräusch auf dem Parkett aufschlagen und ihn wecken.
Am kommenden Morgen, Henry stand bereits gegen zehn an diesem Sonntag auf und räumte seine Verteidigungsutensilien weg, ging er in die Küche und stellte Mary zur Rede. Aber die stritt alles ab. Und gemeinsam mit Mary ging er dann ins Wohnzimmer und zeigte ihr die außergewöhnliche Unordnung. Mary war fassungslos und
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