Das Erwachen
Autoschlüssel. Wie er auch überlegte, für diese Ordnungswidrigkeiten kam nur er in Betracht. Und das ärgerte ihn. Leide ich schon unter Gedächtnisschwund, fragte er sich? Dabei erinnerte er sich doch an jede Kleinigkeit, auch wenn sie schon Jahre zurücklag. Auf sein Gedächtnis war er immer stolz gewesen.
Henry verdrängte den Gedanken an seine eigene Schludrigkeit, er war ihm zuwider. Fehler machten nur andere, Schwächen hatte er doch keine. Aber Henry begann über gewisse Dinge nachzudenken. Und er stellte sich selbst auf die Probe, ob alles in seinem Kopf noch reibungslos funktionierte. In den Tagen danach bemerkte er keine eigene Unregelmäßigkeit. Dafür jedoch ertappte er sich, dass er nun nicht nur zweimal, sondern bis zu viermal am Tag duschte und jedes Mal ein frisches Hemd und frische Unterwäsche anzog. Aber mit dem Reinigungstick konnte er leben. Und seine Mitmenschen erst recht. Und abends überprüfte er auch noch ein drittes Mal, ob alles abgeschlossen war.
Wenige Tage später jedoch schien seine Welt einzustürzen. Er erhielt die Rechnung für sein Handy mit der exakten Auflistung aller Gespräche und überprüfte sie wie immer. Kopfschüttelnd entdeckte er einige Nummern mit einhundertneunzig als Vorwahl. Nie und nimmer hatte er eine solche Nummer gewählt. Auf der Stelle musste er dies überprüfen. Kaum verbunden, gurrte am anderen Ende eine Frauenstimme und forderte ihn auf, zuerst einmal Hose und Hemd und Unterhose auszuziehen. Und es sich auf dem Boden bequem zu machen. Henry beendete die Verbindung und schaute sich im Wohnzimmer um. Niemand hatte seinen Anruf mitbekommen.
Die anderen Anrufe waren ähnlicher Art. Hostessen, die ihm per Telefon schöne Minuten versprachen und ihre Dienste anboten.
Henrys Welt war mehr als erschüttert. Nur er allein kannte die Geheimzahl seines Handys. Eingeschaltet gab er es normalerweise nicht aus der Hand, es sei denn, er war in unmittelbarer Nähe und kannte die Person. Und nachts lag es eingeschaltet neben der 357-er Magnum auf dem Nachttisch, weil es schon mal vorkommen konnte, dass die Koreaner ihre Ortszeit als die deutsche betrachteten und kurz nach Mitternacht oder gegen Morgen bei ihm anriefen. Auch wenn er sich jedes Mal über einen solchen Anruf ärgerte, seine Geschäftspartner ließ er es nie spüren.
Handy, Haus, Auto, auf alles hatte er nun zu achten. Und auf sein Büro in Zukunft auch, denn an diesem Morgen stellte er fest, er hatte vergessen, den Computer auszuschalten. Und das auch noch ausgerechnet mit der Seite eines potenten Kunden, dessen teils private Daten für jeden einsichtig gewesen waren.
Aber der Computer war es nicht allein. Die Stifte in der Schale lagen unordentlich herum, die Schreibunterlage war verrückt, Hefter, Lineal und andere Utensilien schienen wahllos verstreut worden zu sein. Und eine Schublade war herausgezogen worden.
Für Henry wuchs und wuchs das Problem, weil es zwischen den einzelnen Ordnungswidrigkeiten außer ihm keine weitere Person als Verbindungsglied gab. Es sei denn, es handelte sich um eine Verschwörung. Mehrere Personen in seinem Umkreis hatten sich zusammengetan, um ihn zu verunsichern, zu brüskieren, um ihn zu ärgern oder was auch immer. Mary könnte dazugehören, überlegte er, sowie ein oder zwei aus dem Geschäft. Aber wie waren sie an sein Handy gekommen? Oder in sein Auto gestiegen?
Und Henry ertappte sich dabei, wie er sich selbst noch mehr kontrollierte. Zwar schalt er sich einen Narren, weil ihm eine solche Verhaltensweise bisher unnötig erschien, andererseits wiederum war er beruhigt, denn er hatte sich trotz reiflicher Prüfung nichts vorzuwerfen. Er war in der Zeit, in der er sich auf gewisse Bereiche konzentriert und sich selbst beobachtet hatte, ohne Fehl und Tadel.
Vielleicht hätte Henry noch alles unter Kontrolle behalten können, wenn da nicht dieser furchtbare Traum gekommen wäre. Vorher hatte er einen Beleg in seinem Anzug gefunden, der, wie er geschworen hätte, längst abgeheftet war, als er an diesem Abend nach einer Sitzung des SUV mit Ellwanger und Achterbusch noch einen trinken ging. In kleiner Runde wollten sie erörtern, wie sie sich als Verband zur Planung eines Parkhauses verhalten wollten. Und zu der Anfrage eines auswärtigen Gewerbetreibenden, gleich neben einem Discounter einen Elektromarkt auf einer Fläche von mehr als eintausend Quadratmetern zu errichten. Besonders der letzte Punkt berührte die drei Unternehmer nicht sonderlich, aber dafür
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