Das Evangelium nach Satan
Handschreiben Papst Paschalis II. vom November 1104. Nachdem er Sarkopis Mitteilung empfangen und gelesen hatte, beauftragte Seine Heiligkeit den Kommandanten der Garnison von Akkon, jenen erwürgen zu lassen und die Männer der von ihm geführten Abteilung in die vorderste Schlachtreihe zu stellen, damit sie dort ein der Diener Gottes würdiges Ende fänden. Anschließend sollte die Handschrift bis auf Weiteres in den Tiefen der Festung eingemauert werden.
Als Ballestra das Dokument zurücklegt, hört er förmlich die Lederschnur durch die Luft pfeifen, bevor sie sich um den Hals des jungen Ritters legt, dessen einziges Verbrechen darin bestanden hatte, auszugraben, was auf alle Zeiten hätte im Boden bleiben sollen. Er sieht auch vor sich, wie die Pfeile der Sarazenen das Lederkoller derer durchdringt, die man ihrem Sturmangriff entgegengestellt hat, im vollen Bewusstsein dessen, dass sie nicht die geringste Aussicht haben, mit dem Leben davonzukommen.
Die Durchsicht der nächsten Nischen zeigt, dass rund achtzig Jahre lang nichts auf das Satansevangelium hingewiesen hat, bis die Erinnerung daran nach der Einnahme Akkons durch Sultan Saladins Heere im Jahre 1187 wieder auflebte.
In der Nische mit der Geheimkorrespondenz Papst Cölestins III. stößt Ballestra wieder auf den roten Faden. Im Verlauf des von König Richard Löwenherz angeführten dritten Kreuzzugs eroberte das christliche Heer nach einer Belagerung, die nahezu ein ganzes Jahr gedauert hat, die Festung des heiligen Johannes von Akkon zurück. Während sich die Heere Sultan Saladins zur Flucht wandten, drangen die Kreuzritter in die Festung ein, darunter Angehörige des Templerordens unter dem Kommando ihres Großmeisters Robert de Sablé.
Tagein, tagaus durchsuchten die Templer die Stadt nach verloren gegangenen Reliquien und zurückgelassenen Kleinoden. Sie verstanden sich auf das Aufspüren geheimer Verstecke und verborgener Räume, und ebenso waren ihnen alle Kniffe bekannt, die Christen und Araber anwendeten, um Schätze zu verbergen. So stießen sie schließlich auch auf das bewusste Evangelium, das der inzwischen verstorbene Befehlshaber der Garnison in den Tiefen der Festung hatte einmauern lassen.
Wenige Stunden nach seiner Entdeckung schickte Robert de Sablé, während schwarzer Rauch von den Feuern aufstieg, in denen die Kreuzritter die Leichen verbrannten, eine Brieftaube mit einer für den Papst in Rom bestimmten Botschaft aus.
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Eure Heiligkeit, Akkon ist gefallen. Unter den Mauern der Festung haben wir eine Handschrift entdeckt. Sie war eingemauert und so gut versteckt, als handele es sich um einen wertvollen Schatz oder eine entsetzliche Verwünschung. Durch ihren sonderbaren Einband fühlen wir uns an ein Werk erinnert, von dem es heißt, Bohemund habe es beim ersten Kreuzzug hierhergebracht. Ich nehme mir die Freiheit, Euch von diesem Fund zu unterrichten, damit Ihr einige Eurer Archiv-Ritter herschicken könnt, die zweifellos den richtigen Gebrauch davon zu machen wissen.
Da ich noch den ganzen Westflügel der Festung durchsuchen muss, bevor ich wieder zu König Richards Heer stoße, werde ich gewiss noch so lange in Akkon sein, dass ich abwarten kann, was Eure Heiligkeit zu tun wünscht, damit die Handschrift an einen Ort gebracht wird, der gottlosen und schändlichen Menschen weniger leicht zugänglich ist.
Am 13. Juli des Kreuzzug-Jahres 1191
Robert de Sablé, Großmeister des Templerordens
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Erneut nimmt Ballestra einen Armvoll Pergamentrollen aus der Nische Cölestins III. Als die Antwort des Papstes auf de Sablés Mitteilung am 21., 22. und 23. Juli 1191 in Gestalt mehrerer gleichlautender Fassungen ein und desselben Briefes in Akkon eintraf, begriff der Templer sofort, wie wichtig seine Entdeckung sein musste, wenn der Heilige Stuhl eine so große Zahl Brieftauben ausgeschickt hatte. Der an ihn gerichtete Brief enthielt außer der Anweisung, das Buch unter keinen Umständen zu öffnen, die Ankündigung, dass sich eine Gruppe von Archiv-Rittern zu dessen Rückholung eingeschifft habe. Zum Schluss dankte Seine Heiligkeit de Sablé für seine Ergebenheit und gewährte ihm tausendfachen Ablass als Belohnung für seine Mühe.
Rasch rechnete der Großmeister nach: Die Schiffsreise von Rom bis Akkon würde mindestens einen Monat in Anspruch nehmen. Wenn er davon für den Flug der Brieftauben vier Tage und drei Nächte abzog, hätte er etwas mehr als drei Wochen Zeit, um festzustellen, ob die in dem Buch
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