Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
Vom Netzwerk:
aufzusuchen. Dort ist Robert de Sablé auf einem Felsvorsprung, den niemand einsehen konnte, zu uns getreten. Da ich ihn von mehreren Begegnungen in Rom und Venedig kannte, bestürzte es mich zu sehen, wie sehr er gealtert zu sein schien. Anfänglich schrieb ich das den Gefechten und den entsetzlichen Massakern zu, deren Zeugen die Tempelritter geworden waren. Doch als ich ihn ungeachtet des Geruchs nach verbranntem Fleisch, der aus seinem Waffenrock emporstieg, umarmte, sah ich in seinen geröteten Augen, dass er sich möglicherweise einer schlimmeren Tat schuldig gemacht hatte, als es die grauenerregenden Verbrechen in jenem Vorzimmer zur Hölle waren. Nachfolgend zeichne ich wahrheitsgemäß einen Teil der Unterhaltung auf, die wir im Schatten der Festungsmauer miteinander führten. Ich sagte zu ihm: »In Christi Namen, Robert, ich beschwöre Euch, mir ohne Umschweife auf das zu antworten, was ich Euch jetzt fragen werde. Habt Ihr frevelhafterweise das Buch geöffnet, das ich nach Rom zurückbringen soll? Und geht das Gemetzel, dessen Zeugen wir hier geworden sind, auf diese unverzeihliche Tat zurück? Solltet Ihr gelesen haben, was kein Auge sehen darf, ohne davon verzehrt zu werden, ist zu befürchten, dass Ihr damit Mächten die Freiheit geschenkt habt, denen Ihr nicht gewachsen seid. Ich warte auf Eure Antwort. Habt Ihr diese nicht wiedergutzumachende Tat begangen?«
    Als ich die Stimme hörte, die aus dem Mund des Templers kam, überlief mich ein Frösteln.
    »Flieht, armer Narr, denn Gott ist im Schatten dieser Festungsmauern gestorben.«
    »Was sagt Ihr da, Elender?«
    »Ich sage, dass Gott tot ist und jetzt die Herrschaft des Tieres beginnt. Sagt Eurem Papst, dass alles falsch ist. Man hat uns belogen, Umberto. Die Seelen brennen in alle Ewigkeit, und Gott selbst unterhält das Feuer, das sie verzehrt.«
    Während sich meine Archivare das Gesicht verhüllten, als das Wesen mit ausgebreiteten Armen dem Himmel fluchte, forderte ich es auf, mir die Handschrift zu übergeben, widrigenfalls ich die Inquisition nach Akkon holen würde, um den Teufel von den Mauern der Festung zu vertreiben. De Sablé wirkte verstört, und da er wohl seine Worte bedauerte, versprach er mir, die Handschrift noch vor Einbruch der Nacht auf unser Schiff bringen zu lassen. Allerdings traue ich ihm nicht und habe daher gleich nach unserer Rückkehr an Bord mit der Abfassung dieses Briefes begonnen, um Euch meine Befürchtungen mitzuteilen.
    ∗ ∗ ∗
    Das Pergament knistert, als Ballestra das letzte Blatt von di Brescias Brief entrollt.
    ∗ ∗ ∗
    Eure Heiligkeit, in wenigen Stunden wird die Nacht hereinbrechen. Dann wird sich zeigen, ob de Sablé sein Versprechen zu halten gedenkt. Auf jeden Fall habe ich die Wachen an Deck vorsichtshalber verstärken lassen. Immerhin rechne ich mit der Möglichkeit, dass er einige Männer seines Ordens ausschickt, die uns ermorden und unsere Leichen zu den anderen auf die Scheiterhaufen werfen sollen, deren Feuerschein den Nebel erhellt. Ich bin nicht bereit, das verwünschte Evangelium in den Händen eines Mannes zu lassen, dessen Untergang es bedeuten wird, wenn er es behält. Ich lege unser Schicksal in Gottes Hand und vertraue dies Schreiben meiner besten Brieftaube an, damit Ihr, sollten wir hier unser Ende finden, die nötigen Vorkehrungen treffen könnt, um den Orden aus Akkon abzuziehen und den entsetzlichen Dämon, der sich in jenen heiligen Mauern niedergelassen hat, von dort zu vertreiben.
    ∗ ∗ ∗
    Am 20. August des Kreuzzug-Jahrs 1191, geschrieben von der Feder des Umberto di Brescia, Ritter des Archivordens, der ausschließlich den Befehlen aus Rom untersteht.
    ∗ ∗ ∗
    Hier endete der Brief des Hauptmanns. In derselben Nacht verfasste der Kommandant der Garnison von Haifa einen Bericht, demzufolge man auf offener See ein in hellen Flammen stehendes Segelschiff hatte treiben sehen, das mit allen an Bord Befindlichen untergegangen war, bevor die ihm zu Hilfe geschickten Ruderboote es erreichen konnten. Ballestra schließt die Augen. Es fällt ihm nicht schwer, sich die Vorfälle jener Nacht vorzustellen. Offensichtlich hatte de Sablé in der Tat den Verstand verloren, und seine Tempelritter waren ganz wie er in den Bannkreis der Kräfte des Bösen gezogen worden.

12
    Ballestra sieht auf die Leuchtziffern seiner Armbanduhr. Schon seit über vier Stunden befindet er sich in dieser riesigen Halle und muss noch ein knappes Dutzend Nischen durchsuchen. In aller Eile

Weitere Kostenlose Bücher