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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Schmerzenslaut entfährt Rachel. Der Mann redet auf sie ein, während er nach ihr tritt und sie schlägt. Er wirkt ganz ruhig, überhaupt nicht aufgeregt. Er spricht mit gleichmäßiger, nahezu warmer Stimme. Maria bemüht sich zu verstehen, was er sagt. Sie bekommt einige Wörter mit. Es ist ein Gemisch aus Latein und Dialekten, die niemand mehr kennt. Eine tote Sprache.
    Rachel schreit nicht mehr. Doch der Mann schlägt und tritt weiter unablässig auf sie ein, in den Unterleib, ins Gesicht und in die Seiten. Er zertrümmert ihren Körper, will sie aber noch nicht töten. Nicht gleich. Er hat Zeit. Einer seiner Schläge trifft die Brust der jungen Frau. Das Telefon in der Tasche zerbirst. Ein Signalton zeigt an, dass die Aufnahme beendet ist.

20
    Maria hat die Augen geschlossen. Während der Regen auf ihre Wachsjacke prasselt, hallen in ihr noch immer Rachels Schreie nach. Sie wendet sich Bannerman zu und lässt sich von ihm ein Sprechfunkgerät geben. Sie steckt es ein. Anschließend setzt sie sich einen kleinen Infrarot-Empfänger ins Ohr, damit sie Mitteilungen des Sheriffs auch noch mitbekommt, falls sie das Funkgerät nicht mehr bedienen kann.
    »Hast du jetzt etwa eine von deinen hirnrissigen Aktionen vor?«
    Sie sieht Bannerman verächtlich in die blauen Augen.
    »Das hättest du wohl gerne?«
    »Falls du tatsächlich imstande bist, Dinge zu sehen, indem du Bäume streichelst oder in der Luft herumschnüffelst, ist das unsere einzige Möglichkeit, Rachel zu finden. Ja, das hätte ich dann wohl gerne.«
    »In Ordnung. Lasst mir zwanzig Minuten Vorsprung, damit ich die Fährte finde. Ich geb euch Bescheid, wenn ihr nachkommen könnt. Tut es auf keinen Fall vorher.«
    »Spinnst du?«
    »Seh ich so aus?«
    »Und wenn der Kerl noch da ist?«
    »Das ist er garantiert.«
    Während sie in das Waldgebiet eindringt, stellt sie die Lautstärke ihres Funkgeräts so leise, dass sie Bannermans Stimme gerade noch hören kann. Er mahnt sie zur Vorsicht und rät ihr, den Weg mit kurzen roten Wollfäden zu markieren, die er ihr gegeben hat. In der Stimme dieses Bären von Mann liegt Rührung, aber auch Besorgnis und schlechtes Gewissen. Mit rauer Stimme sucht er nach Worten. Er sagt, er wolle nicht, dass sie sich verlaufe. Auch Maria will das nicht. Sie geht mit großen Schritten davon.

21
    Mitten im dichten Wald schließt sie die Augen und hört die Regentropfen auf die Kapuze ihrer Wachsjacke fallen. Das Wasser läuft ihr bis in die Stiefel. Ein eiskalter Wind biegt die Baumwipfel. Sie hebt den Blick zu den grauen Fetzen Himmel, die sie zwischen den Ästen erkennen kann. Ein ganzes Heer schwarzer Wolken rückt zum Sturm gegen den Mond vor.
    Sie konzentriert sich. Bäume stöhnen unter Windstößen. Dumpf klatscht der Regen. Bis auf ihre Schritte im Farnkraut hört sie kein Geräusch. Sie seufzt. Schon eine halbe Stunde sucht sie ziellos in Kälte und Dunkelheit. Eine halbe Stunde markiert sie bereits ihren Weg mit Wollfäden und folgt einer Fährte, die ins Nirgendwo führt.
    Ein Stück grauer Himmel in der Schwärze des Waldes. Sie betritt eine Lichtung, auf der Forstarbeiter entrindete Eichenstämme aufgeschichtet haben. Es riecht nach Sägemehl und dem Lebenssaft der Bäume. Maria versucht, ältere Gerüche in sich aufzunehmen. Baumrinde, Millionen dunkler Stämme mit ihren Astansätzen, Milliarden Zweige, der durchdringende Geruch von Moos und Fäulnis, der Atem der weichen Erde, die Leichen ebenso verdaut wie abgestorbene Bäume. Die Nacht. Die betäubende Stille des Waldes.
    Sie sieht die Umrisse eines grob zusammengefügten Picknick-Tisches, dessen Platte kaum geglättet ist. Sie setzt sich. Unter ihren Fingerspitzen spürt sie Vertiefungen und mit der Spitze eines scharfen Messers hineingeritzte Zeichen. Ein Datum und ein Vorname. In ihren Armen und Beinen kribbelt es. Ihr Puls beschleunigt sich. Eine Vision. Sie schließt die Augen.
    Szenenwechsel.
    Ein schöner Tag, angenehm warm. Die Sonne scheint.
    Dicke weiße Wolken treiben am Himmel dahin. Es riecht nach frischem Gras, Brennnesseln, Minze, reifen Brombeeren. Maria sitzt am Tisch. Eine kühlende Brise streicht ihr über das Gesicht. Bienen summen um sie herum. Auch nach Baumharz riecht es, und nach heißen Steinen. In der Ferne hört man Kinderstimmen. Sie öffnet die Augen. Die Lichtung ist verschwunden. Zwischen den Bäumen, denen nur noch wenige Jahreszeiten gegönnt sein werden, ist ein rotes Tischtuch auf dem Gras ausgebreitet. Ein Familien-Picknick,

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