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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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einem roten Kopftuch aus einem Fernbus gestiegen und habe erklärt, sie komme aus Birmingham in Alabama. Soweit er wisse, habe sie weder einen Liebhaber noch Freunde oder eine Vergangenheit gehabt. Hinter dieser Art von Lebenslauf, das wusste Maria, verbergen sich oft genug die entsetzlichsten Geheimnisse. Sie habe ein Zimmer im halb zerfallenen Haus der alten Norma am Ende der Donovan Street gemietet. Weiter gebe es nichts zu sagen.
    Beim achten Glas fragte der Mann Maria, ob sie nach Dienstschluss mit ihm im Kentucky Fried Chicken essen gehen wolle. Sie fragte ihn, was für ein Auto er habe. Einen alten Chevrolet Pick-up. Sie sah ihn an und fuhr dabei mit der Zungenspitze über die Salzkristalle an ihren Fingerspitzen. Er hielt das für eine Zusage. Es hieß aber Nein.
    Genau um diese Zeit hatte sich Rachel in der Dunkelheit auf den Weg gemacht, ohne jemandem etwas davon zu sagen. Über ihr Mobiltelefon hatte sie Bannerman von der Wegkreuzung Hastings aus angerufen und auf seine Mailbox gesprochen, sie habe eine Fährte entdeckt. Ein finsterer Weg, der mitten in den dichten Wald von Oxborne führte. Sie hatte hinzugefügt, sie werde die Leitung zwischen ihrem Telefon und Bannermans Mailbox nicht unterbrechen, damit er alles mithören könne. Rachel und ihr Dickkopf, mit dem sie unbedingt ihr Schäfchen ins Trockene bringen wollte.
    ∗ ∗ ∗
    An all das muss Maria jetzt denken, während sie versucht, unter der brühheißen Dusche wach zu werden. Es kommt ihr so vor, als klopfe jemand an die Tür. Durch das undurchsichtige Glas des Badezimmerfensters zuckt der Schein der mehrfarbigen Lichtorgel auf dem Dach eines Einsatzwagens der Polizei.
    Sie trocknet sich ab, zieht Jeans, einen Wollpullover und eine Wachsjacke an. Beim Hinausgehen wirft sie einen Blick auf die Wanduhr im Wohnzimmer. Zehn vor eins. Rachel ist seit fast zwei Stunden verschwunden. Maria versucht sich auf sie zu konzentrieren. Ohne Ergebnis: Der Wald hat die junge Frau verschlungen.

18
    Mit eingeschalteter Lichtorgel jagt der Chevrolet Caprice über den regennassen Asphalt durch das nächtliche Hattiesburg. Die Straßenbeleuchtung spiegelt sich matt in den Pfützen. Über Abfalltonnen gebeugte Gestalten verschwinden blitzschnell, als sie das Brummen des V8-Motors hören. Das Rauschen im Funkgerät, das regelmäßige Hin und Her der Scheibenwischer, der Regen, der auf die Motorhaube prasselt … Maria beißt sich auf die Unterlippe, um nicht wieder einzuschlafen. Dann bleiben die Lichter des Städtchens zurück. Eine letzte Straßenlaterne, ein letztes Schild: AUF WIEDERSEHEN IN HATTIESBURG. Es fällt Maria auf, dass ein Witzbold das Schild verändert hat, sodass man jetzt liest: NIE WIEDER HATTIESBURG. Verständlich.
    Das Licht der Scheinwerfer streift noch einige Bauernhäuser, in denen alles schläft, dann taucht der Wagen in die Schwärze der Nacht ein. Als sich Marias Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sieht sie, dass sich in der Ferne eine noch dunklere Linie abzeichnet: der Wald von Oxborne.
    Der Fahrer nimmt das Gas zurück und biegt auf einen Feldweg ein. Die in den Schlaglöchern springenden Räder schleudern Schlamm beiseite. Fest an die Kopfstütze gelehnt hebt Maria den Blick zum Mond, der zwischen den Wolken hervorkommt. Sein Licht ist schwach und trübe, als spiegele er sich in einer Pfütze.
    In Gedanken geht sie das wenige durch, was sie weiß. Auf jeden Fall muss ein Mann die Taten begangen haben. Serienmörderinnen haben es nur selten auf Frauen abgesehen. Ihre Opfer sind meist kleine Jungen, alte Männer, mitunter auch starke oder gewalttätige Männer, doch nur äußerst selten suchen sie sich ihre Opfer unter den Angehörigen des eigenen Geschlechts. Hie und da kranke alte Frauen, dann aber geht es eher um Tötung aus Mitleid als um Verbrechen aus Hass.
    Ein Mann also, und zwar ein Weißer, der in seiner eigenen ethnischen Gruppe jagt. Mehr ist im Augenblick nicht bekannt, außer dass er seine Opfer entkleidet und sein Revier damit absteckt, dass er ihre Kleidungsstücke am Waldrand ablegt. Er entkleidet sie und beraubt sie ihres Menschseins, indem er sie in den Urzustand der Nacktheit zurückversetzt. Ja, das ist es: Er zieht sie aus, weil er sie auf diese Weise umso vollständiger vernichten kann.
    Diese Art Mörder sieht in der Kleidung eine Lüge, eine Befleckung. Es sind »Häuter«, die auf das Fleisch und die Knochen aus sind. Das Entkleiden ist der erste Schritt bei der Zerstückelung. Als Nächstes reißen sie

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