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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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einem der als igarapé bezeichneten schlammigen schmalen Wasserwege dahin, die sich durch den Urwald winden.
    Der Schläfer nimmt den Geruch nach Schweiß wahr, den die Männer links und rechts von ihm ausströmen und der sich mit dem nach Humus und fauligem Wasser mischt. Außer dem Eintauchen ihrer Paddel und ihrem regelmäßigen Atmen herrscht im Dschungel völlige Stille. Kein Affenschrei, kein Vogellaut. Die Insekten allerdings sind zurückgekehrt, und ihr vielstimmiges Summen, Brummen und Schwirren erfüllt erneut die Luft.
    Er spürt, wie sich Wolken von Stechmücken auf seinen Armen und Beinen niederlassen. Er hat Hunger. Unerträglicher Durst brennt in seiner Kehle. Unzählige winzige Tröpfchen laufen ihm über die Haut, während er hört, wie das Wasser unter dem Boden der Piroge murmelt, Zweige an ihrem Rumpf entlangstreichen, die Paddel das lauwarme Wasser aufrühren. Beim Versuch, die Arme zu bewegen, merkt er mit einem Mal, wie entsetzlich müde er ist. Er spürt die Erschöpfung, die seinen Körper schwer werden lässt, wird sich der Finsternis bewusst, die sich über seine Seele gelegt hat.
    Es kommt ihm vor, als sei er seit Jahrhunderten ohne Bewusstsein. Er bemüht sich, seine Erinnerungen zurückzurufen, doch sein Gedächtnis ist leer. Besser gesagt: Die darin enthaltenen Bruchstücke sind nicht zugänglich, so, als verdunkle sie etwas. Eine schwarze und dichte Erinnerung ohne Bilder, Gerüche und Klänge, so undurchdringlich wie die Schwärze von Tinte, die man über ein Buch gegossen hat oder wie eine Schicht frischen Zements auf einem uralten Relief. Jetzt fährt der Schläfer auf. Uralte Reliefs …
    Fiebrig macht er sich daran, wegzukratzen, was seine Erinnerungen überlagert. Wie ein Archäologe klopft er auf die Zementschicht, sodass Risse und Spalten darin entstehen, bis darunter schließlich das Rot und Blau auf den Flachreliefs an der gewölbten Decke unter der Erde erkennbar werden, die der Schein einer Fackel erhellt. Jetzt kann sich der Schläfer erinnern. Seine Lider zittern. Seine Hände verkrampfen sich. Er fährt mit den Nägeln über den Boden der Piroge. Die allerersten Olmeken, das verlorene Paradies und der Erzengel Gabriel, der dem Stamm der Auserwählten das Feuer übergibt. Der Schläfer durchquert die Zeitalter und verharrt vor der letzten Darstellung. Die drei Kreuze auf der obersten Stufe der olmekischen Pyramide. Er spürt, wie ihn die Angst überfällt. Er stellt sich der Erinnerung an jenen Christus, der auf die Menge hinabsieht, während er sich am Kreuz windet und ihr etwas zubrüllt. Die Geißel der Olmeken.
    »Herr, ich erinnere mich …«
    Das Geräusch der Paddel hört auf, die Piroge wird langsamer. Ein erschöpft wirkendes bärtiges Gesicht beugt sich über den Schläfer. Der Mann spricht mit einem entsetzlichen Akzent ein Kauderwelsch aus Portugiesisch, Deutsch und Indio-Dialekten des Orinoko-Beckens.
    »Willkommen unter den Lebenden, Hochwürden. Während Ihres Kampfes gegen die Mächte der Finsternis haben wir viel für Ihr Seelenheil gebetet.«
    »Wer sind Sie?«
    »Pastor Gerhard Steiner. Ich leite die protestantische Mission von San Jose de Constenza. Jäger sind auf Sie gestoßen, als Sie durch den Dschungel irrten, und ein Hubschrauber des brasilianischen Heeres hat Sie bei mir abgeladen.«
    »Wo sind wir?«
    »Wir fahren gerade den Igarapé de Jamanacari entlang, dem Rio Negro entgegen. Wir sind ganz nahe an Manaus.«
    Carzo greift nach Steiners Ärmel.
    »Die Yanonámi. Man muss ihnen helfen.«
    Das Gesicht des Pastors erbleicht unter der Bräune.
    »Das Heer hat eine Patrouille nach São Joachim in Marsch gesetzt. Ich habe ihren Bericht über Funk gehört. Dort sind nur noch Leichen. Das große Übel … es hat alle dahingerafft. Jetzt verbreitet es sich im Herzen des Urwalds weiter und rückt auf das Amazonas-Delta vor.«
    »Und Pater Alameda?«
    Ein Schatten legt sich auf das Gesicht des Pastors.
    »Sie müssen sich ausruhen.«
    »Sagen Sie mir, was aus Alameda geworden ist.«
    »Wir haben ihn an einem Baum erhängt gefunden. Rote Ameisen hatten sein Gesicht völlig weggefressen.«
    »Herr im Himmel …«
    »Was ist geschehen, Hochwürden? Was haben die Yanonámi im Herzen des Waldes ausgelöst?«
    Carzo schließt die Augen. Er sucht im Geröll seines Gedächtnisses nach anderen Erinnerungen. Das farbige Relief. Der Mann am Kreuz mit den Augen voll Hass … Die Fackel, die mit leisem Knistern erlischt. Er geht in der Dunkelheit auf eine Art Halle

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