Das Evangelium nach Satan
Satans.
Anschließend hatten sie das ganze Gewirr der Lüftungsleitungen bis zum Maschinenraum durchsucht – ohne Ergebnis. Vermutlich war Kaleb schon vor dem Anlegen des Schiffs ins Wasser gesprungen, doch genügten die von ihm hinterlassenen Spuren, die Jagd wieder aufzunehmen.
Noch einmal liest Maria die Anzeige, die Patricia Gray am 16. November in der Zeitung La Nación in Buenos Aires veröffentlicht hat, also wenige Tage, nachdem die Sea Star angelegt hatte.
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Ihr Lieben, Tante Marta verstorben.
Kommt bitte so rasch wie möglich.
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Wieder war eine Weltferne Schwester in ihrem Kloster gekreuzigt worden, und nach wie vor gab es nicht den geringsten Hinweis auf den Inhalt des Evangeliums, nach dem Kaleb suchte.
Die nächsten Anzeigen waren in unregelmäßigen Abständen in verschiedenen südamerikanischen Zeitungen erschienen: O Globo im brasilianischen São Paulo, Ultima Hora in Asunción im Staat Paraguay sowie La Razón im bolivianischen Santa Cruz. Danach war der Mörder nach Norden gezogen, dem Äquator entgegen, wie aus einer weiteren Anzeige hervorging, die im November in Lima in La República erschienen war, wie auch eine andere in La Pátria in Cartagena.
Aufmerksam liest Maria die Berichte der kolumbianischen Polizei über den besonders abscheulichen Mord an Mutter Esperanza, Oberin der Weltfernen Schwestern in Cartagena. Beim Anblick der Fotos vom Tatort wird ihr Mund trocken. Kaleb hatte so sehr gewütet, dass nur noch einige Sehnen die Unglückliche am Kreuz festhielten. Er hatte sie nicht nur gekreuzigt und geschändet, sondern auch zu Tode gefoltert. Als hätte er ihr ein Wissen entreißen wollen, das nur sie besaß, etwas, das den anderen ermordeten Weltfernen Schwestern nicht bekannt gewesen war.
Maria überfliegt Crossmans Anmerkungen zu diesem Mordfall. Genau wie die anderen getöteten Weltfernen Schwestern war auch Mutter Esperanza Bibliothekarin ihres Klosters gewesen. Sie hatte den Schlüssel zu den Räumen besessen, in denen der Orden seine gefährlichsten Handschriften aufbewahrte: die Bibliothek der verbotenen Bücher.
Sie liest weiter. Nach Cartagena war die Mordserie weitergegangen. Die blutige Spur führte von Mexiko in die Vereinigten Staaten. Dort hatte Kaleb seinen Blutrausch zuerst in der Kongregation von Corpus Christi in Texas ausgelebt, dann in der von Phoenix in Arizona. Danach hatte er in einer Klosterfestung mitten in den Rocky Mountains erneut gemordet, und dort wäre es den vier Nonnen beinahe gelungen, ihn zu fassen.
Einige Tage danach waren sie in Hattiesburg abermals auf seine Fährte gestoßen und nacheinander dort hingereist, um ihm ein für alle Mal das Handwerk zu legen. In jener Gegend gab es weit und breit kein Kloster der Weltfernen Schwestern, nichts als Fischteiche und endlose Waldgebiete.
Um die vier Verfolgerinnen in eine so dünn besiedelte Gegend zu locken, hatte er auf einsamen Friedhöfen Leichen aus ihren Gräbern geholt und mitten im Wald von Oxborne in der Krypta der Kirchenruine versammelt. Wie nicht anders zu erwarten, hatten diese Schändungen Schlagzeilen in der Lokalpresse und später auch in überregionalen Zeitungen gemacht, sodass die Nonnen zwangsläufig darauf stoßen mussten. Maria lehnt sich an die Kopfstütze ihres Sitzes. Ja, auf diese Weise waren die vier geradewegs in die Höhle des Löwen geeilt, und Rachel ebenfalls.
Irgendetwas an der Sache war faul. Warum hatte Kaleb das Risiko auf sich genommen, entdeckt und gestellt zu werden? Warum war er nicht einfach verschwunden, nachdem er seine Verfolgerinnen umgebracht hatte, sondern hatte auch noch ihre Kleider am Waldrand verteilt? Hatte er Maria Parks dazu bringen wollen, Rachel zu folgen, damit sie die toten Nonnen in der Krypta entdeckte? Falls ja – welche Absicht hat er damit verfolgt? Sie weiß es nicht. Erschöpft schließt sie die Augen und hört auf das Geräusch der Triebwerke. Ein Knistern in den Lautsprechern. Kaum nimmt sie noch die Stimme des Flugkapitäns wahr, der ankündigt, dass man sich einem Bereich mit starken Turbulenzen nähere, dann sinkt sie in einen tiefen traumlosen Schlaf.
TEIL FÜNF
1
Auf dem Igarapé do Jamanacari, einem der Nebenflüsse des Rio Negro im Urwald von Amazonien
Der Schläfer in der Piroge spürt Wärme, die von fern über seine Lider streicht, weil das dichte Blätterdach hier und da Sonnenstrahlen durchlässt. Lichtflecken wechseln mit riesigen Bereichen tiefen Schattens ab. Die Piroge gleitet auf
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