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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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dem Privaten ist es genauso, sobald du hineingetappt bist, alles aus. Und alte Kripo-Weisheit: Neunzig Prozent aller Morde rein privat.
    Das Private hat der Brenner aber erst begriffen, wie der Schutzengel ihn das nächste Mal gestreift hat, sprich der Gedanke, den das Hupkonzert aus dem Tunnel vertrieben hat. Zuerst natürlich noch kein Gedanke, wie die Soili wieder in ihren blauen Fiesta gestiegen ist. Und wie er mit dem Moped hinter ihr hergefahren ist, sprich wieder mit einem Bein im Grab gestanden ist, auch noch kein Gedanke. Und wie sie durch den Tunnel in die Gegenrichtung gefahren ist, auch noch kein Gedanke, wo man glauben könnte, der fliegt vielleicht immer noch im Tunnel herum, aber keine Spur. Und wie sie vor dem Pasolini geparkt hat, immer noch kein Gedanke.
    Jetzt hab ich dir vorher erklärt, der Gedanke ist mit einem Bein im Brenner gestanden, er hätte den Gedanken gern ganz hereingezogen, und da meint man natürlich, der Gedanke ist kleiner als der Mensch mit seinem Gehirn, weil wie sollte er sonst hineinpassen. Meistens ist es auch so, aber nicht immer, weil man hat keine Garantie. Es kann auch einmal ein Gedanke vom Himmel fallen, der aus der Ferne schön ausgeschaut hat, ein bezaubernd flak-kernder Lichtpunkt, den man gern aus der Nähe gesehen hätte, ein angenehmes Schutzengelflügel-Flattern, aber wenn dann der ganze Gedanke eintrifft, ist es kein Lichtpunkt und kein Flügel, sondern mehr so ein halber Planet, und er erschlägt dich, bevor du auch nur zum Denken kommst.
    Aber erschlagen hat der Gedanke den Brenner noch nicht einmal, wie die Soili vor dem Pasolini geparkt hat. Noch nicht einmal, wie er fünf Minuten nach ihr ins Lokal hinein ist und sie nicht da war, hat der Gedanke ihn erschlagen. Und wie er vom Kellner erfahren hat, dass die Soili bei ihrer Mutter oben im ersten Stock ist, hat der Gedanke ihn auch noch nicht erschlagen. Du wirst sagen, wahrscheinlich hat er ihn erst erschlagen, wie er den Kellner gefragt hat, aus welchem Pasolini-Film das Schwarzweißfoto hinter der Bar eigentlich stammt. Weil natürlich aus gar keinem Film, sondern italienischer Motorradrennfahrer Renzo Pasolini.
    Ein Wunder, dass er den Kellner noch gehört hat, weil das Hupkonzert aus dem Tunnel ist gleichzeitig in seinem Kopf losgegangen, und ihm ist jetzt vorgekommen, sie hupen alle miteinander »Lustig samma, Puntigamer«. Aber erschlagen hat es ihn immer noch nicht. Im Nachhinein ist es mir auch unverständlich. Aber aus irgendeinem Grund hat ihn die Einsicht, dass die Soili den Köck erschossen hat, erst eine gute Stunde später erschlagen.
     

16
    »Maria Marie« ist an der Tür im ersten Stock über dem Pasolini gestanden. Klingeln wollte er aber erst, wenn die Soili wieder weg war. Er hat sich auf das Fensterbrett im nächsten Halbstock gesetzt und festgestellt, dass er jetzt am linken Aug vollkommen blind war. Irgendwie hat ihn das beruhigt, und nachdem die Soili sich von ihrer Mutter verabschiedet hat, ist er noch so lange sitzen geblieben, bis unten der Fiesta losgefahren ist, und dann hat er erst bei der Frau Marie geläutet.
    Zuerst ist die weißhaarige Frau ein bisschen erschrocken und wollte die Tür schon wieder zumachen. Aber dann hat sie ihn doch wiedererkannt: »Ja, das ist aber nett, dass Sie mich besuchen!«
    Der Brenner wollte gleich ein paar Begründungen ausgraben, warum er auf einmal zur Frau Marie nach Hause kommt, quasi die Soili hat mir die Adresse gegeben.
    »Sie kommen genau richtig!«, hat die Frau Marie ihn aber gar nicht zu Wort kommen lassen. »Ich hab mir gerade einen Zitronenlikör eingeschenkt. Kommen Sie herein, der wird Ihnen schmecken.«
    Jetzt warum nicht einen Zitronenlikör, ich werde deshalb nicht gleich sterben, hat der Brenner sich gesagt. Weil er hat jetzt seine linke Gesichtshälfte überhaupt nicht mehr gespürt, und in so einer Situation wirst du natürlich ernährungsbewusst. Aber andererseits, er hat den Likör auch gut brauchen können. Er hat sogar drei, vier Zitronenliköre gut brauchen können, und kaum dass sein Glas leer war, hat ihm die Frau Marie schon wieder nachgeschenkt.
    Weil alte medizinische Weisheit. Wenn dir das Private den Magen umdreht, ist es immer gut, wenn du etwas in deinen Magen füllst, das dir ebenfalls den Magen umdreht, quasi ausgleichende Gerechtigkeit.
    Und die Frau Marie hat nicht nur dem Brenner immer wieder nachgeschenkt, sondern auch sich selber jedes Mal schön nachgeschenkt. Du musst wissen, die Frau Marie war sehr für

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