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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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habe, weil ich mit dem Schauen das in Wirklichkeit gar nicht rote Aug rot einfärbe. Und im Grunde wäre es sogar eine Erleichterung gewesen, wenn das Aug wirklich rot gewesen wäre. Weil rotes Aug nicht so schlimm, wie wenn der Rotschleier weiter drinnen im Kopf hängt, und an einem roten Aug ist noch niemand gestorben, quasi optimistischer Gedanke.
    Sicher kein Zufall, dass er diesen optimistischen Moment genau jetzt gehabt hat, wo er wieder aus dem Tunnel hinausgekommen ist. Und gleich der nächste optimistische Gedanke: Vielleicht ist der Fahrtwind gut für mein Aug. Weil so dicht war der alte Helm nicht, da hat es natürlich unter dem Visier hereingezogen, frage nicht. Die kalte Zugluft womöglich gut für mein linkes Aug, hat er gehofft, so wie für manche Krankheiten nicht das Warme gut ist, sondern das Kalte, die Gefäße ziehen sich zusammen, oder anderes Beispiel, Blutflecken wäscht man ja auch mit kaltem Wasser heraus, jetzt hat der Brenner sich eingebildet, der Fahrtwind zieht ihm vielleicht den Schleier weg, und er schafft es doch noch. Und weit hat er es ja nicht mehr gehabt zur Heinz-Wohnung in Geidorf, wo er die Waffe finden wollte.
    Aber vor dem Haus war es wieder vorbei mit der Leichtigkeit. Weil vom Moped absteigen. Auf einem Moped hast du automatisch die beschwingte Stimmung, da kann der Müdeste kurz vergessen, wie schwer sein Körper und wie beschissen sein Leben ist. Aber jetzt beim Absteigen hat er bemerkt, wie sein Körper ihn hinuntergezogen hat.
    Mit dem Helm am Kopf ist er neben seinem Moped gestanden und hat sich gefühlt wie ein umgekehrter Astronaut. Weil die Astronauten ja immer weiß Gott wie schwerelos im Weltall, und der Brenner hat es jetzt büßen müssen, weil das Gewicht, das die Astronauten der verschiedensten Länder über die Jahrzehnte im Weltall gelassen haben, wenn sie schön schwerelos herumgesegelt sind, das muss ja irgendwo hingekommen sein, so ein Gewicht verschwindet doch nicht einfach. Jetzt hat der Brenner gespürt, wie das ganze Gewicht von den verschiedensten Astronauten, früher nur amerikanische und russische, später alle möglichen Astronauten, einer schwereloser als der andere, und heute die Millionäre, die müssen ja auch noch das Weltall mit ihrer Schwerelosigkeit beehren, aber keiner macht sich Gedanken, wo das Gewicht hingeht, das sind ja zusammengerechnet Tonnen und Abertonnen, und der Brenner hat jetzt gespürt, wie der ganze Gewichtsmüll in dem Moment, wo er von seinem Moped gestiegen ist, in ihn hineingefahren ist.
    Aber ich sage immer, nichts hat nur Nachteile. Ein Schwereloser hat zum Beispiel Probleme, wenn er eine Wohnungstür eindrücken soll. Und der Brenner hat sich jetzt mit seinem durch wochenlange Schlaflosigkeit und jahrzehntelange internationale Schwerelosigkeit zusammengesammelten Gewicht nur ein bisschen an die HeinzTür lehnen müssen, und schon war er drinnen.
    Weil so ist es im Leben. Die Lungenärzte sind selber die größten Kettenraucher. Die Lehrer nehmen heimlich die Finger zum Rechnen. Die Päpste haben den besten Sex miteinander. Und der Major Heinz, der viel in der öffentlichen Aufklärung, Verbrechensvorbeugung und so weiter im Einsatz war, hat wieder ein saumäßig schlechtes Schloss gehabt.
    Und das war nicht das Einzige, wo dem Brenner sein Gewicht geholfen hat. Du musst wissen, der Brenner hat schon in seiner aktiven Polizeizeit nichts mehr gescheut als das Wohnungsdurchsuchen. Weil die unzähligen Schubladen. Das ganze Schubladenzeug. Was da zum Vorschein kommt! Das ist ja der Grund, dass schon viele Wohnungseinbrecher an Ort und Stelle Selbstmord begangen haben, weil sie einfach zu viel vom Leben gesehen haben.
    Trotzdem muss ich sagen, ein Detektiv, ein Kripomann muss das einfach aushalten. Und das war früher schon auch ein bisschen die Unreife beim Brenner, dass er beim Durchsuchen derart unwillig war. Weil was sollen da die anderen sagen? Im Leben eines jeden Menschen überwiegen die sinnlosen Momente. Man würde sich lieber nur die guten Momente herausfischen aus dem Leben, aber andererseits, dann würde ja das Leben nur zwei oder drei Minuten dauern. Und die restliche Zeit muss man eben ein bisschen hineinbeißen, sprich Schublade.
    Auf seine alten Tage hat der Brenner das auch so gesehen. Er ist nicht an der Heinz-Wohnung verzweifelt. Die Wohnung, durch die er immer noch mit dem Helm am Kopf gestapft ist, war riesengroß und ist immer größer geworden, Weltall nichts dagegen. Aber es hat ihn nicht

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