Das ewige Lied - Fantasy-Roman
möglichen Konsequenzen von Cwells Worten dachte.
„Wohin gehen wir eigentlich?“, wollte Daphnus misstrauisch wissen.
„Ich muss zur Kaiserin!“, sagte Jayel bestimmt. „Ihr habt doch gehört, dass fast alle Angehörigen der Bardenschule umgekommen sind. Ich muss unbedingt wissen, wer überlebt hat.“ Die junge Bardin drängte sich auf die Reihe der Soldaten zu, die das Podium bewachte, auf dem die Kaiserin mit ihren Beratern und hohen Bürgern der Stadt eine Sitzung abhielt.
Daphnus versuchte, sie zurückzuhalten und ergriff ihren Arm fester: „Ihr glaubt also, dass die Soldaten euch einfach so zur Großkaiserin durchlassen werden? Aus welchem Grund sollten sie das tun?“
Jayel blickte ihn an: „Das weiß ich auch nicht. Aber ich muss es zumindest versuchen. An wen sollte ich mich denn sonst wenden?“
Daphnus seufzte und folgte dem Mädchen auf das Podium zu. „Halt!“, wurden sie von einem älteren Hauptmann empfangen. „Was wollt ihr?“
Jayel setzte ein bezauberndes Lächeln auf und blickte den Soldaten offen an: „Herr Hauptmann, ich muss unbedingt zur Kaiserin. Bitte lasst uns durch.“
„Zur Zeit wollen alle zur Kaiserin“, wies sie der Soldat mürrisch ab und ließ seinen Blick abschätzend über das seltsame Paar vor ihm gleiten. „Alle wollen nach Angehörigen fragen oder politische Ratschläge geben oder ihre Hilfe anbieten. Wollte ich jeden zu Kaiserin lassen, der mit ihr sprechen will, hätte Cwell keine freie Minute mehr.“ Jayel blickte verzweifelt an dem Soldaten vorbei auf das Podium. Die Kaiserin war gerade aufgestanden und wollte sich auf den Weg nach draußen machen. Wenn sie erst einmal gegangen wäre, würde es für Jayel wahrscheinlich vollkommen unmöglich sein, die Großkaiserin in absehbarer Zeit wieder zu Gesicht zu bekommen.
„Bitte, Herr Hauptmann“, sagte sie deshalb flehend. „Seht ihr denn nicht, dass ich eine Akolythin der Bardenschule bin? Ich war heute Nacht nicht im Schloss, als es geschehen ist, und ich muss doch der Kaiserin zumindest melden, dass ich ihre Botschaft an den Gesandten Han überbracht habe.“ Der Hauptmann betrachtete sie nochmals und befasste sich eingehend mit Jayels Robe. „Also gut, ihr könnt durch“, meinte er dann unwillig. „Aber der Magier bleibt hier!“
„Aber er ist fast blind und wird ohne meine Hilfe nicht von hier wegkommen!“, rief Jayel.
„Ein blinder Magier? Das habe ich ja noch nie gehört!“
„Es war ein Unfall, ja? Es war ... sozusagen ... meine Schuld...“
„Oh? Also schön, nehmt ihn mit. Aber ich werde euch im Auge behalten – nichts für ungut, Magier...“
„Das war vielleicht ein Witzbold“, knurrte Daphnus, als sie an den Soldaten vorbeigeeilt waren.
„Scht!“, machte Jayel. Die Kaiserin hatte die Tür bereits fast erreicht, um das Gebäude zu verlassen. Jayel sah sich verzweifelt um. Es gab keine Möglichkeit, die Kaiserin irgendwie auf sich aufmerksam zu machen – es galt als strenger Bruch der Etikette, die Kaiserin anzusprechen und nicht von ihr angesprochen zu werden. Aber was sollte sie tun? Cwell wandte ihr den Rücken zu. Jayel begann zu rennen. Daphnus, seiner Stütze so plötzlich beraubt, keuchte und stolperte, konnte sich jedoch gerade noch fangen. Jayel lief in einem Bogen an der Kaiserin vorbei und warf sich mit einem gekeuchten „Eure Majestät“ auf den Boden, genau zwischen die Kaiserin und die Tür. Der versammelte Hofstaat raunte erstaunt. Auch die Großkaiserin blickte überrascht auf das Mädchen zu ihren Füßen herab. „Erhebe dich, junge Dame!“, sagte sie schließlich.
Als Jayel den Kopf hob und aufstand, blitzte Erkennen in den dunklen Augen der Kaiserin auf. „Jayel!“, rief sie erfreut. „Ich hatte befürchtet, dass auch du in den Flammen...“ Überrascht runzelte sie die Stirn. „Aber du warst nicht bei den Überlebenden, die die Bardenschule verlassen haben...“ In dieser Feststellung schwebte eine unausgesprochene Frage.
Jayel verneigte sich anmutig. „Das ist eine längere Geschichte Majestät“, sagte sie. „Ich will euch nicht unnötig aufhalten.“
„Unsinn!“, unterbrach Cwell. „Du kommst jetzt mit mir und erzählst mir, wie es kommt, dass du unversehrt vor mir stehst. Ich habe Unterkunft im Hause von Botschafter Han gefunden – der mir im Übrigen berichtet hat, dass du bei ihm gewesen bist.“ Jayel blickte sich suchend nach Daphnus um. Cwell folgte ihrem Blick und lächelte plötzlich verstehend: „Oh, dein Begleiter kann
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