Das fahle Pferd
ausgesprochen warm, doch sie trug einen gelben Wollpullover, einen schwarzen Rock und schwarzwollene Strümpfe, und der Schweiß rann ihr die ganze Zeit übers Gesicht. Sie roch nach schweißgetränkter Wolle und auch sehr penetrant nach ungewaschenem Haar. Wie meine Bekannten behaupteten, galt sie als sehr attraktiv. Da war ich aber anderer Ansicht! Bei mir erweckte sie nur den sehnlichen Wunsch, sie in ein heißes Bad zu stecken, ihr ein Stück Seife in die Hand zu drücken und sie anzuflehen, nun ordentlich loszuschrubben. Was nur bewies, wie ich vermute, wie wenig ich die heutige Zeit verstand. Vielleicht kam es durch die vielen Jahre, die ich im Ausland gelebt hatte. Mit Sehnsucht dachte ich an die Inderinnen mit ihrem schön geschlungenen schwarzen Haar, an die Saris in den leuchtend klaren Farben, die Stoffe, die in weichen Falten niederfielen, und an den Rhythmus der geschmeidigen schlanken Körper.
Diese angenehmen Erinnerungen wurden höchst unsanft unterbrochen. Zwei junge Mädchen an einem Nebentisch hatten begonnen miteinander zu streiten. Die Jünglinge, die zu ihnen gehörten, versuchten sie zu beschwichtigen, allerdings ohne sichtbaren Erfolg.
Plötzlich schwoll der Lärm zu voller Lautstärke an. Das eine Mädchen schlug dem anderen ins Gesicht und dieses wiederum riss das erste vom Stuhl hoch. Sie schrien hysterisch und kämpften miteinander wie Fischweiber. Die eine war ein wuschliger Rotkopf, die andere hatte langes, blondes Haar.
Um was der Streit eigentlich ging, blieb mir unklar. Aber Rufe und Pfeifen erschollen von anderen Tischen.
»Los, Mädels! Gib’s ihr, Lou!«
Der Mann hinter der Bar, ein schlanker, italienisch aussehender Mann, den ich für Luigi, den Besitzer, hielt, eilte herbei.
»Halt! Aufhören – aufhören, sag ich! In einer Minute wird die halbe Straße hier sein… und die Polizei auch! Schluss damit, sag ich!«
Doch die Blonde hatte den Rotschopf am Haar gepackt und zerrte wütend daran, während sie schrie: »Nichtsnutzige Hexe! Nur auf Männerfang aus!«
»Selbst Hexe, du Dreckstück!«
Luigi und die beiden verwirrten jungen Männer rissen die Mädchen auseinander. In den Fingern der Blonden hingen ganze Büschel roter Haare. Sie hielt sie wie Siegestrophäen hoch und ließ sie dann zu Boden fallen.
Die Tür flog auf und ein breitschultriger Polizist trat ein.
»Was ist los hier?«, fragte er energisch.
Sofort bildete das ganze Lokal eine Front gegen den gemeinsamen Feind.
»Ach, wir haben nur Spaß gemacht«, meinte der eine der jungen Männer.
»Nichts weiter«, bestätigte Luigi, »nur ein Scherz unter Freunden.«
Mit seinem Fuß schob er die Büschel roter Haare geschickt unter den nächsten Tisch. Die beiden zornigen Gegnerinnen lächelten einander zuckersüß an.
Der Polizist blickte misstrauisch von einem Gast zum anderen.
»Wir wollten gerade gehen«, bemerkte die Blonde mit unschuldigem Augenaufschlag. »Komm, Doug.«
Durch einen seltsamen Zufall waren auch die meisten anderen Gäste gerade zum Aufbruch bereit. Der Polizist betrachtete grimmig die Szene. Seine Miene zeigte deutlich, dass er sie dieses Mal ungeschoren davonkommen lassen würde, aber ein scharfes Auge auf sie haben werde. Langsam zog er sich zurück.
Der Begleiter des Rotschopfs beglich die Rechnung.
»Fehlt Ihnen auch nichts?«, fragte Luigi das Mädchen, das sich einen Schal um den Kopf band. »Lou hat Ihnen mächtig zugesetzt – hat Ihnen die Haare in ganzen Büscheln ausgerissen.«
»Ich hab’s überhaupt nicht gespürt«, bemerkte die Rote gleichgültig. Sie lächelte ihn an. »Tut mir leid, dass wir einen solchen Krach gemacht haben, Luigi.«
Die kleine Gesellschaft entfernte sich, das Lokal war nun fast leer. Ich griff in meine Tasche, um zu bezahlen.
»Sie ist ein feiner Kerl«, erklärte Luigi und schaute zur Tür, die sich hinter dem Rotschopf schloss. Er ergriff einen Besen und fegte die Haarbüschel hinter die Theke.
»Das muss ihr doch wehgetan haben«, meinte ich.
»Ich hätt laut aufgeheult, wenn ich’s gewesen wär«, gab Luigi zu. »Aber ich sag’s ja: Tommy ist ein feiner Kerl.«
»Sie kennen das Mädchen gut?«
»Oh, sie kommt fast jeden Abend her. Tuckerton heißt sie, Thomasina Tuckerton, wenn Sie es genau wissen wollen. Aber jedermann hier herum nennt sie Tommy Tucker. Sie stinkt direkt vor Geld. Ihr alter Herr hat ihr ein Vermögen hinterlassen… und was tut sie? Kommt hierher nach Chelsea, lebt in einer kleinen Bude und treibt sich mit einer
Weitere Kostenlose Bücher