Das fahle Pferd
und T haben ihr für die Untersuchung ihre Ausweise zur Verfügung gestellt und auf diese Weise bezieht sie das dreifache Geld.«
»Ich verstehe den Zusammenhang nicht.«
»Nehmen wir einmal an…«, der Zeigefinger bewegte sich jetzt in höchster Erregung, »nehmen wir also an, unser Mr Venables habe ein Abkommen getroffen mit einem armen Teufel, der wirklich an Kinderlähmung leidet. Dieser Mann mag vielleicht sogar eine gewisse Ähnlichkeit ganz allgemeiner Art mit ihm aufweisen. Gut. Dieser tatsächlich Gelähmte begibt sich als Mr V. zum Spezialisten und wird von diesem untersucht… und registriert. Dann kauft Mr V. ein Haus auf dem Lande. Der dortige Arzt ist im Begriff, sich vom Beruf zurückzuziehen. Wieder wird das gleiche Manöver durchgeführt: Der wirklich Kranke wird untersucht und erhält sein Attest. Mr Venables besitzt nun alles, was er braucht: Er leidet an Kinderlähmung, an Muskelschwund. Man sieht ihn nur noch in einem Rollstuhl… und so weiter und so weiter.«
»Aber seine Dienstboten müssten doch darüber Bescheid wissen, sein Kammerdiener in erster Linie.«
»Vielleicht handelt es sich um eine ganze Bande und der Kammerdiener gehört ebenfalls dazu. Was könnte einfacher sein?«
»Aber weshalb? Welchen Zweck sollte das Ganze haben?«
»Ah – das ist eine andere Frage!«, rief Mr Osborne. »Ich will Ihnen meine Theorie nicht darlegen – Sie würden wahrscheinlich darüber lachen. Doch eines ist sicher: Mr Venables besitzt ein wundervolles, unerschütterliches Alibi, wann immer er es braucht. Er kann überall auftauchen, wo auch immer es ihm beliebt. An jenem Abend zum Beispiel in Paddington? Ausgeschlossen, der Ärmste ist ja ein Krüppel.« Mr Osborne warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich muss mich beeilen, mein Bus kommt gleich. Um nun auf mein Eindringen in seinen Park zurückzukommen – ich wollte dort ein wenig herumspionieren, sehen, ob sich ein Verdachtsmoment zeigt. Nicht sehr anständig, werden Sie sagen und Sie haben Recht damit. Aber wenn es sich darum handelt, der Wahrheit auf die Spur zu kommen… einen Verbrecher zu entlarven – nun, das ändert wohl die Sache. Wenn ich zum Beispiel Mr Venables bei einem gemütlichen Spaziergang erwischt hätte oder auch nur beim Herumgehen in seinem Zimmer – ah, das hätte vollauf genügt! Sicher wahrt er im Haus nicht immer seine gewohnte Vorsicht… er nimmt ja nicht an, dass jemand hinter ihm her ist.«
»Weshalb sind Sie so fest davon überzeugt, dass der Mann, den Sie an jenem Abend sahen, wirklich Mr Venables war?«
»Ich weiß es!«
Er schoss in die Höhe.
»Ich höre meinen Bus. Es war mir eine große Freude, Sie kennen zu lernen, Mr Easterbrook, und mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, dass ich Ihnen erzählen durfte, was mich in den Park von Mr Venables trieb. Zwar wird Ihnen das alles unsinnig vorkommen…«
»Das möchte ich nun nicht gerade behaupten«, gab ich zurück. »Aber Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was Sie eigentlich hinter diesem Mann vermuten?«
Mr Osborne sah etwas dumm und verwirrt aus.
»Sie werden mich auslachen. Jedermann spricht vom Reichtum dieses Mr Venables… aber niemand scheint zu wissen, woher dieser stammt. Ich will Ihnen sagen, was ich davon halte. Ich glaube, er ist ein ganz großer Verbrecher – einer von denen, über die man immer wieder liest. Er plant die Sachen und hat seine Leute, die sie ausführen. Das mag Ihnen unglaublich vorkommen, aber ich…«
Der Autobus hielt und Mr Osborne rannte darauf zu.
Sehr nachdenklich machte ich mich auf den Heimweg. Mr Osbornes Theorie mochte unglaublich erscheinen – aber vielleicht steckte doch etwas dahinter!
33
A m nächsten Morgen rief ich wieder Ginger an und sagte ihr, ich führe jetzt nach Bournemouth. »Ich habe ein nettes, kleines Hotel ausfindig gemacht, das verschiedene Seitenausgänge besitzt. Da kann ich mich leicht mal wegstehlen und Sie in London besuchen, ohne das es auffällt.«
»Eigentlich sollten Sie das nicht, Mark – aber ich gestehe, es wäre einfach himmlisch! Hier ist es tödlich langweilig! Ich sehne mich…«
»Ginger!«, unterbrach ich entsetzt. »Was ist mit Ihrer Stimme? Sie klingt ganz anders.«
»Oh, das ist weiter nichts, machen Sie sich keine Sorgen.«
»Was fehlt Ihnen?«
»Ich habe nur einen etwas rauen Hals, das ist alles.«
»Ginger!«
»Aber Mark, das kann doch jedem Menschen einmal passieren. Wahrscheinlich habe ich mich erkältet – oder einen ganz leichten
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