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Das fahle Pferd

Das fahle Pferd

Titel: Das fahle Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ist etwas ganz anderes – ein Mann, der über gewaltige Kräfte verfügt, ohne dass die Welt etwas davon ahnt. Ein Mann, der ruhig in seinem Stuhl sitzt und an den Fäden zieht.«
    Ich sah ihn scharf an, während ich sprach. Er lächelte bloß.
    »Haben Sie mich für diese Rolle ausersehen, Easterbrook? Ich wünschte, es wäre so. Man braucht eine Entschädigung für… dies hier.« Seine Hand glitt über die Decke, die seine Beine umhüllte, und es lag tiefe Bitterkeit in seiner Stimme.
    »Ich will Ihnen nicht mein Mitgefühl ausdrücken… Mitleid ist zu billig für einen Mann in Ihrer Lage«, entgegnete ich. »Lassen Sie mich etwas anderes betonen: Wenn es überhaupt einen Menschen gibt, der über eine unerwartete Katastrophe den Sieg davonträgt, dann sind Sie die Persönlichkeit dafür.«
    Er lachte. »Sie schmeicheln mir.« Doch ich sah, dass ihn meine Worte freuten.
    Aber ich fürchtete trotzdem, zu weit gegangen zu sein, und fuhr erklärend fort: »Sie sind ein Mann mit viel Verstand und Geschmack, Sie wissen Ihre Schätze gut auszuwählen… aber Sie haben selbst angedeutet, dass Sie diese Reichtümer nicht durch Ihrer Hände Arbeit erwarben.«
    »Das ist richtig, Easterbrook. Ich sagte bereits, dass nur Narren sich abrackern und schinden. Der kluge Mann denkt und plant. Das Geheimnis eines jeden Erfolges ist sehr einfach – wenn man erst dahinter gekommen ist. Man überlegt… und man führt aus. Das ist alles.«
    Ich starrte ihn an. »Einfach« – so einfach zum Beispiel wie das Beiseiteschaffen im Wege stehender Personen? Hatte Mr Venables »geplant«, während er in seinem Rollstuhl saß? Und die Rolle der Ausführenden hatte Thyrza Grey übernommen?
    Unter halb geschlossenen Lidern beobachtete ich ihn scharf, während ich tastend bemerkte: »Das Wort Übermensch hat mich übrigens an eine merkwürdige Behauptung von Miss Grey erinnert.«
    »Ach, unsere gute Thyrza!« Seine Stimme klang freundlich und gleichgültig – aber hatten nicht seine Augenlider leise geflattert? »Die beiden alten Damen schwatzen viel Unsinn. Und sie glauben daran, sie glauben allen Ernstes daran! Sind Sie schon einmal zu einer ihrer Séancen eingeladen worden? Ich bin überzeugt, man wird Sie dazu auffordern.«
    Einen Augenblick zögerte ich, ehe ich mir klar war, wie ich reagieren sollte.
    »Ja«, sagte ich dann langsam, »ich… ich bin bei einer solchen Séance gewesen.«
    Ich wich seinem Blick aus und gab mir den Anschein eines Menschen, der sich in seiner Haut nicht wohlfühlt.
    »Sie empfanden natürlich alles als einen großen Humbug – oder waren Sie davon beeindruckt?«
    »Nun… natürlich glaube ich nicht an dieses Zeug. Die Damen scheinen es ja sehr ernst zu nehmen, aber…« Ich zog meine Uhr hervor und sprang auf. »Oh, ich hatte keine Ahnung, wie spät es bereits ist. Ich muss mich wirklich beeilen; Rhoda wird sich wundern, wo ich stecke.«
    »Sie haben einem Invaliden zu einem anregenden Nachmittag verholfen. Empfehlen Sie mich Ihrer Kusine. Sie müssen sehr bald zum Essen herkommen. Morgen fahre ich allerdings nach London zu einer sehr interessanten Versteigerung. Französisches Elfenbein aus dem Mittelalter. Sie werden die Sachen sicher bezaubernd finden, wenn es mir gelingt, sie zu erwerben.«
    Auf dieser freundschaftlichen Basis trennten wir uns. Hatten seine Augen nicht spöttisch geblinzelt, als er meine Verlegenheit hinsichtlich der Séance bemerkte? Mir war es so vorgekommen. Aber es konnte auch Einbildung sein.

32
     
    I ch trat in den späten Nachmittag hinaus. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen und da der Himmel stark bewölkt war, ging ich etwas tastend die lange Auffahrt hinunter. Einmal wandte ich den Kopf, um nach den erleuchteten Fenstern des Hauses zu blicken, und geriet dabei vom Wege ab auf den Rasen. Fast gleichzeitig stieß ich mit einem Menschen zusammen, der mir entgegenkam.
    Es war ein kleiner, stämmiger Mann. Wir tauschten unsere Entschuldigungen aus, wobei mir auffiel, dass seine Stimme voll und tief, aber etwas pedantisch klang.
    »Ich bin noch nie hier gewesen«, erklärte ich. »Daher finde ich den Weg nicht so leicht. Leider habe ich keine Taschenlampe mitgenommen.«
    »Gestatten Sie…«
    Der Fremde zog eine Stablampe hervor, knipste sie an und reichte sie mir. Bei ihrem Licht sah ich, dass er ein Mann mittleren Alters war, mit einem rundlichen Cherubsgesicht, schwarzem Schnurrbart und Hornbrille. Er trug einen dunklen Regenmantel und sah aus wie ein Muster an

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