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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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Eichmeister Eibenschütz, und das sagte er auch dem Wachtmeister Slama. War es nicht möglich, die ganze Angelegenheit noch ungeschehen zu machen? »Nein, es ist nicht möglich«, sagte Slama. Die Protokolle, der Untersuchungsrichter, all die Verhöre und schließlich das Geständnis Jadlowkers selbst, daß er Gott gelästert hatte und, was noch schlimmer war, den Staat und seine Beamten.
    Unterwegs, als sie so brüderlich zurückfuhren nach Zlotogrod, der Eichmeister und der Wachtmeister, stieg in Eibenschütz ein leiser Neid gegen den Gendarmeriewachtmeister Slama auf, der so selbstverständlich alles nahm, was ihm in den Weg gekommen war. Er kannte die Gesetze genausogut wie der Eichmeister. Auch er, der Slama, mußte wissen, daß auf Gotteslästerung und Beamtenbeleidigung mindestens zwei Jahre Zuchthaus standen. Aber was machte sich der Slama daraus? Und das Merkwürdige bestand eben darin, daß sich der Slama nichts daraus machte.
    Der Abend dämmerte schon, als sie auf die breite Landstraße nach Zlotogrod einbogen. Ein sachtes Windchen wehte dem Wägelchen entgegen und kämmte die Mähne des Schimmels. Knapp drei Kilometer vor Zlotogrod gab es einen abzweigenden Landweg, der führte nach dem Grenzwäldchen. Nach dem Grenzwäldchen, das hieß auch nach Szwaby, zur Grenzschenke. Der Eichmeister, der die Zügel hielt, verlangsamte den Lauf. Er wartete, bis es ganz dunkel wurde, dann sagte er: »Wie wäre es, wenn wir nach Szwaby führen? Dann könnten wir der Euphemia berichten, was mit Jadlowker passiert ist. Es wäre eigentlich nur eine menschliche Tat.«
    Dem Wort »menschliche Tat« konnte der Wachtmeister der Gendarmerie nicht widerstehen. Und obwohl der seine Frau wiedersehen wollte und obwohl er morgen schon seinen neuen Dienstweg hatte, sagte er: »Gut, nach Szwaby also!«
    Eibenschütz und Slama hatten sich gerade an den Tisch gesetzt, als Euphemia herankam. Sie blieb stehen, sie stützte sich mit beiden Fäusten auf den Tisch, sie sah abwechselnd den Eichmeister und den Wachtmeister an und sagte: »So habt ihr ihn also hingerichtet. Und ihr kommt noch hierher!« – Sehr leise sagte sie das. Sie wandte sich um und ging weg, kehrte aber sofort um, setzte sich an den Tisch und schnalzte mit den Fingern und bestellte zu trinken. Von ungefähr begegnete ihr Knie unter dem Tisch dem Knie des Eichmeisters. Im Nu zog er es zurück, aber er wußte auch sofort, daß er damit nichts aus der Welt schaffte. Geschehen war geschehen! Jetzt hörte er deutlich das goldene Klirren der Ohrringe, es klingelte draußen, es klingelte auch drinnen in seinem Herzen. Er sagte laut: »Nun, jetzt sind Sie uns nicht mehr böse! Der Jadlowker wird Zuchthaus bekommen! Aber er ist selber schuld!« Es war ihm, während er so oben über dem Tisch daherredete, als wäre er zwei, ein oberer und ein unterer Eibenschütz. Oben trank und sprach er. Unten aber, im guten Dunkel unter dem Tisch und unter dem Tischtuch, suchte sein sehnsüchtiges Knie die neuerliche Berührung mit Euphemia. Er streckte zage einen Fuß vor, aber er traf nur den Stiefel des Wachtmeisters, sagte »Pardon!« und sah aus den Augenwinkeln, wie Euphemia lächelte. Das verwirrte ihn zwar, gab ihm aber auch etwas Mut ein. Also sagte er: »Es tut uns beiden sehr leid, Frau Euphemia. Wir konnten aber nicht anders. Es tut uns besonders leid, weil Sie jetzt so allein bleiben!«
    »Ich glaube nicht, daß ich lange allein bleibe«, antwortete sie, »zumindest Sie beide werden sich meiner annehmen.« Dabei sah sie nur den Eichmeister an.
    Sie erhob sich und ging der Treppe zu, die Treppe hinauf. Durch allen Lärm der Schenke hörte man noch das leise, süße Rascheln ihres vielgefältelten, breiten dunkelroten Rocks.
    Es war späte Nacht, als sie nach Hause fuhren, nach Zlotogrod, der Eichmeister und der Gendarm.
    Unterwegs sagte Slama: »Die hätte ich auch gerne!«
    »Ich auch!« sagte Eibenschütz und bereute es sofort.
    »Haben Sie sie denn noch nicht?« fragte der Gendarm.
    »Was fällt Ihnen ein?« sagte der Eichmeister.
    »Ach, und warum nicht?« sagte der Gendarm.
    »Ich weiß nicht«, sagte Eibenschütz.
    »Auf jeden Fall«, schloß der Gendarm, »ist es gut, daß wir ihn los sind, den Jadlowker. Ich schätze: zwei Jahre!«
    Eibenschütz knallte aus Verlegenheit mit der Peitsche. Der Schimmel setzte sich in Galopp. Das Wägelchen glitt weich und hurtig durch den feuchten, sandigen Boden des Landweges. Die Sterne glänzten mächtig und still. Das Windchen wehte. Der

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