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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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vorübergehend – in Wirklichkeit aber für immer. Denn die Grenzschenke war ein gutes Geschäft, und seit langem schon beneidete man den Leibusch Jadlowker um ihren Besitz. Heute abend versammelten sich die fünf Hypothekengläubiger, ohne daß sie sich verabredet hätten, in der Grenzschenke in Szwaby. Alle fünf kamen sie beinahe zu gleicher Zeit, alle fünf waren sie erschrocken, einander hier zu treffen. Der Reichste unter ihnen war Kapturak.
    Er war es, der die Deserteure heranführte, er handelte ja mit ihnen. Er allein wußte, was die Geschäfte der Schenke genau eintrugen, er war es auch, der jenseits der Grenze, auf dem russischen Gebiet, eine ebensolche Schenke besaß. Die anderen Hypothekengläubiger aber waren Laien: ein Korallenhändler namens Piczenik; ein Fischhändler namens Balaban; ein Droschkenkutscher namens Manes; und ein Milchhändler namens Ostersetzer.
    Alle vier waren weit weniger klug als der kleine Kapturak. Fräulein Euphemia Nikitsch saß am Tisch, sie gehörte zum Gasthof, auch auf sie bezogen sich die Hypotheken. Alle fünf Gläubiger sahen sie zwar nicht an, während sie unterhandelten, aber alle fünf wußten, daß sie da sei, vorhanden sei und daß sie zuhöre. Alle fünf gefielen ihr nicht, nicht der allzu dürre Piczenik, nicht der allzu dicke Balaban; nicht der Grobian, der Kutscher Manes; und nicht der Ostersetzer, weil er pockennarbig war und sein Bart spärlich und kärglich wie der Bart eines Ziegenbocks. Am besten gefiel ihr noch, der Euphemia, der winzige Kapturak. War er auch klein und häßlich, so war er doch schlauer und reicher als die anderen. Neben ihn setzte sie sich. Man trank auf das Wohl des verurteilten Jadlowkers. Alle stießen mit den Gläsern an.
    In diesem Augenblick vernahm man das Klingeln eines Wagens, und Euphemia wußte sofort, daß es der Wagen des Eichmeisters war. Sie erhob sich. In Wahrheit liebte sie ihn. Sie liebte auch das Geld, die Sicherheit, die Schenke, den Laden, der an sie angeschlossen war, und auch den armen Jadlowker, der jetzt im Zuchthaus saß, aber diesen nur in Erinnerung an die guten Stunden, die sie mit ihm genossen hatte. Denn ein dankbares Gemüt hatte sie, wie so viele leichtfertige Menschen. Erinnerungen machten sie überhaupt wehmütig und zärtlich. Sie sprang auf, als sie den Wagen des Eichmeisters hörte.
    Schon trat er ein, groß und stattlich wie er war, fast war es, als würden alle anderen ausgelöscht. Sein buschiger, blonder, geradezu wuchtiger Schnurrbart glänzte stärker als die drei Petroleumlampen in der Mitte des Zimmers. Auch alle fünf Gläubiger sprangen auf. Er begrüßte sie kaum. Er setzte sich einfach hin, bewußt seiner Macht und so, als stünde hinter ihm, unsichtbar, aber immer gegenwärtig, der Wachtmeister der Gendarmerie Slama, mit aufgepflanztem Bajonett und mit der schimmernden Pickelhaube.
    Das Gespräch erlosch. Bald erhoben sich die Hypothekengläubiger und gingen. Sie sahen verprügelt aus, und sie erinnerten an Hunde.

XXI
    Man muß wissen, daß die Grenzschenke in Szwaby keine gewöhnliche Schenke war. Um diese Grenzschenke kümmerte sich sogar der Staat. Es war offenbar für den Staat wichtig zu wissen, wie viele und welche Deserteure aus Rußland jeden Tag ankamen.
    Eines Tages kümmert sich der Staat um dieses und morgen um jenes. Er kümmert sich sogar um die Geflügelware der Frau Czaczkes; um die Gewichte des Balaban; um die schulpflichtigen Kinder Nissen Piczeniks; um die Impfungen kümmert sich der Staat, um die Steuern, um die Trauungen und um die Scheidungen, um die Testamente und Hinterlassenschaften, um die Schmuggelei und um die Goldfälscher. Weshalb sollte er sich nicht um die Grenzschenke Jadlowkers kümmern, in der alle Deserteure zusammenlaufen? Die Bezirkshauptmannschaft hatte ein politisches Interesse daran, die Grenzschenke wohl überwacht zu wissen. Sie wandte sich dessentwegen an die Gemeinde Zlotogrod. Und die Gemeinde Zlotogrod bestimmte als vorläufigen Verwalter der Grenzschenke den Eichmeister Eibenschütz.
    Die Folge davon war, daß der Eichmeister Eibenschütz eine große Freude empfand und zugleich eine große Verlegenheit. Er freute sich, und er wußte nicht, warum. Er hatte Angst, und er wußte nicht, wovor. Als er das Papier erhielt mit der Aufschrift »Streng vertraulich«, in dem er von der Gemeinde auf Veranlassung der politischen Behörde gebeten wurde, »während der Abwesenheit des Gastwirtes und Gemischtwarenhändlers Leibusch Jadlowker die Aufsicht

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