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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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sondern Kramrisch. Er hatte nur die Papiere und selbstverständlich auch den Namen eines seiner Opfer angenommen.
    Man verurteilte ihn schließlich zu zwei Jahren Zuchthaus, verschärft durch einen Fasttag in der Woche, am Freitag, an dem er seine Missetat begangen hatte.
    Still und entschlossen ließ er sich abführen.

XIX
    Dem Eichmeister Eibenschütz aber war es, als hätte man ihn und nicht den Leibusch Jadlowker verurteilt. Weshalb – das wußte er nicht, das wußte er keineswegs. Er nahm sich vor, niemals mehr nach der Grenzschenke zu gehen. Er sah sich trotzdem um, nach der Frau Euphemia. Aber sie war verschwunden, auf eine merkwürdige Weise verschwunden. Er fuhr sehr schweigsam mit dem Wachtmeister Slama nach Hause. Der Weg war weit, etwa dreizehn Kilometer. Unterwegs schwieg der Eichmeister, obwohl der Gendarm oft und oft Anstalten machte zu reden. Den Wachtmeister Slama nämlich hatte der Prozeß äußerst munter gemacht, den Eichmeister Eibenschütz indessen äußerst niedergeschlagen.
    Er befand sich in einer seltsamen Verfassung, der Anselm Eibenschütz: Er gedachte mitleidig, ja mit wahrer Trauer des armen Jadlowker; zugleich aber auch konnte er sich nicht verhehlen, daß ihm die zwei Jahre Zuchthaus, die Jadlowker bekommen hatte, eigentlich sehr froh machten. Er wußte nicht genau, warum, oder er wußte eigentlich genau, warum, und er wollte es sich nur nicht zugestehen.
    Er kämpfte mit sich selbst darüber, ob er es sich, nämlich sein genaues Wissen, zugestehen sollte oder nicht. Allerhand törichtes Zeug schien unterwegs der Gendarmeriewachtmeister Slama zu reden. Niemals vorher – so schien es Eibenschütz – hatte Slama soviel Torheiten gesagt.
    Der Abend war schon eingebrochen. Sie rollten dahin auf der breiten, sandigen Landstraße zwischen zwei Wäldern. Sie rollten dahin in westlicher Richtung. Die untergehende Sonne, rötlich und gütig, schimmerte ihnen geradewegs in die Augen und blendete sie. An beiden Seiten des Weges leuchteten die Tannen der Waldränder, gleichsam von innen heraus, als hätten sie das rötliche Gold der Sonne getrunken und strahlten es jetzt aus. Man hörte das unermüdliche Pfeifen, das Trillern, das Zwitschern, das Flöten der Vögel, und man roch den scharfen Harzgeruch, den unerbittlichen süßen und herben, der den beiden unendlichen Wäldern entströmte. Dieser Duft war scharf und süß und bitter zugleich. Den Eichmeister Eibenschütz erregte er, und er streichelte sanft mit der Peitsche die rechte Flanke des Schimmels, um ihn anzutreiben. Wozu antreiben? Wo jagte er dahin? Nach Hause? Hatte er ein Haus? Hatte er noch ein Haus? Kreischte nicht ein fremder Säugling durch sein Haus? Der Säugling Nowak? – Ach, was weiß ein armer Eichmeister! Nackt, ganz nackt kam sich Eibenschütz vor, es war ihm, als hätte ihn das Schicksal ausgezogen. Er schämte sich, und das schlimmste war, daß er eigentlich nicht wußte, weshalb er sich schämte. Hatte er früher den Schimmel angetrieben, so bemühte er sich jetzt, seinen Galopp zu zügeln. Schon glänzten die Sterne am Himmel, sehr fern und ganz unverständlich. Von Zeit zu Zeit warf Eibenschütz einen Blick empor. Er versuchte, sich einen Trost zu holen, er biederte sich ihnen an gewissermaßen. In früheren Jahren hatte er sie niemals beachtet, geschweige denn geliebt. Jetzt war es ihm auf einmal, als hätten sie immer teilgenommen an seinem Leben, von ferne zwar, aber immerhin teilgenommen, wie manchmal sehr entfernte Verwandte.
    Nun erreichten sie das Städtchen Zlotogrod.
    »Soll ich Sie absetzen?« fragte er den Gendarmen.
    »Ja gewiß«, sagte der Wachtmeister, »ich bin müde.«
    Der Gendarmeriewachtmeister Slama wohnte am Rande von Zlotogrod, dort, wo der Weg nach Szwaby abzweigte. Eine verwitterte Holztafel zeigte mit einem weißen Pfeil den Weg nach Szwaby an, der weiße Pfeil leuchtete, grell beinahe, durch die hellblaue Nacht.
    Der Eichmeister Eibenschütz verabschiedete sich von dem Gendarmen.
    Er wollte eigentlich nach Hause fahren, der Eichmeister. Aber der Pfeil, der Pfeil, der leuchtete zu sehr. Und also lenkte Eibenschütz sein Wägelchen nach Szwaby in die Grenzschenke.

XX
    Auf die Grenzschenke hatte Jadlowker mehrere Hypotheken aufgenommen. Das stellte sich jetzt heraus. Sofort, nachdem er verurteilt worden war, erhob sich im Städtchen Zlotogrod und überhaupt im ganzen Bezirk die Frage, wer die Grenzschenke in Szwaby übernehmen sollte – vorübergehend, versteht sich, offiziell

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